Allmachtsdackel
keine Bremsen herum. Sie finden sich bei Pferden und Rindern auf dem Land. Als ich Vicky Samstagvormittag zu Gesicht bekam, angeblich direkt aus München kommend, war der Stich bereits über zwölf Stunden alt. Er muss schon Freitagnachmittag hier gewesen sein, falls er jemals in München war. Ich kenne mich aus mit Bremsenstichen! Entweder ich sterbe gleich daran oder sie schwellen innerhalb von drei Tagen zu Pestbeulen, so wie bei Vicky.«
»Das werden wir alles klären«, machte sich Kromppein genüsslich breit. »Und damit Sie, Herr Dr. Weber, mir nicht wieder vorwerfen, ich würde nachlässig ermitteln, bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihre Mutter vorläufig festzunehmen und Haftbefehl zu beantragen.«
»Es besteht weder Verdunklungs- noch Fluchtgefahr! Dafür verbürge ich mich.«
»Aber, Herr Kollege! Sie wissen doch selbst, bei Verdacht auf ein Tötungsdelikt gibt es keine Haftverschonung. Ja Himmel, wie könnte ich es denn verantworten, Ihnen eine mutmaßliche Giftmörderin wieder mitzugeben. Wer garantiert mir denn, dass sie nicht Ihnen oder Ihrer hübschen jungen Freundin Gift ins Getränk mischt?«
»Nicht in diesem Ton, Herr Kromppein!«
»Ganz ruhig! Selbstverständlich werden wir weiterhin mit aller Energie in alle weiteren Richtungen ermitteln. Aber momentan kann ich nicht anders handeln.«
»Hören Sie, meine Mutter ist neunundsiebzig. Die U-Haft überlebt sie nicht. Und Sie werden Ihres Lebens nicht mehr froh werden, das garantiere ich Ihnen! Außerdem wird Ihre Entscheidung keinen Bestand haben. Jeder halbwegs gute Anwalt zerbröselt Ihre Argumentation schon bei der ersten Haftprüfung. Und das gibt keine gute Presse, Herr Kollege. Das sollten Sie sich ersparen, vor allem aber meiner Mutter.«
Ich hätte Richard gern knapp über dem Hosenbund in die Seite gezwickt, damit er von seinem hohen Ross fiel. Sein knitzes Mütterchen hatte ihm anscheinend die Zurechnungsfähigkeit geraubt, sonst hätte er sich nicht derartig vergaloppiert. Glücklicherweise neigte Richard nicht dazu herumzuballern. Er redete sich nur um Anstand und Würde.
»Ich weiß, Sie tun nur Ihre Arbeit, Herr Kromppein. Ohne Ansehen der Person und so weiter. Niemand weiß das mehr zu schätzen als ich. Aber Sie haben ja auch einen Ermessensspielraum. Unangemessene Härten sind zu vermeiden. Darum fordere ich Sie auf, noch zu warten. Wenigstens bis nach der Beerdigung meines Vaters.«
Kromppein warf mir einen Hilfe suchenden Blick zu.
»Und wenn ich Sie darum bitte, Herr Kromppein?«, fuhr Richard blindlings fort. »Ich bitte Sie! Warten Sie bis nach der Beerdigung. Ich bitte Sie inständig!«
Ich machte auf meiner von Richard abgewandten Seite eine scheuchende Geste. Kromppein verstand, griff nach seinem Handy, sagte: »Moment, bin gleich wieder da«, und eilte geschäftig um die Ecke.
Richard drehte sich zum Fenster und starrte auf die autofreie Riesenkreuzung. Die Sonne war im milchhellen Dunst verschwunden. Aber das sah er nicht, auch nicht das bekennende Kreuz auf der Wand eines flachen Gebäudes gegenüber neben einer gelben Endlosigkeit, die sich als Post outete, weder die Tauben auf dem Fußweg noch die Mutter mit dem Kind, die darauf wartete, dass ihre Ampel aufs grüne Männchen sprang. Er sah nichts, obgleich seine Augäpfel zuckten beim Abrastern der Häuser, aufgefädelt entlang der Eyach, und der Bäume, in denen sich Böen verfingen, während er hinter seiner Stirn vergeblich seine Möglichkeiten erwog. Nach einer Weile fuhr er sich übers Gesicht, drückte Daumen und Zeigefinger in die Augen und schaute mich an. »Ich fürchte, ich habe mich unmöglich benommen. Was muss Kromppein von mir denken!«
»Dass ein Sohn Angst um seine Mutter hat. Endlich bekommst du für ihn ein menschliches Gesicht.«
Richard senkte die Lider und nickte vor sich hin.
»Und wenn du kannst«, sagte ich, »dann entschuldige dich jetzt nicht bei Kromppein auf deine eisig korrekte Art. Lass es einfach so stehen, ja?«
Er blickte mich verwundert an. »So schlimm?«
»Viel schlimmer!«
33
Leises Donnergrollen weckte mich. Die Luft war grün und knisterte. Ich lag auf einem Bett. Ein Schrank und ein Schreibtisch drohten rotschwarz ins Zimmer. An der Wand klebten beigefarbene Schlafanzugstreifen auf Papier. Der Teppich war kackbraun und unter den Beinen des Schreibtischstuhls bis auf die Gummierung abgeschabt. Ein aus dunkelbraun gestrichenen Brettern zusammengenageltes Bücherregal hatte an der Wand überlebt, seit
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