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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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einer Jugendzeit vor Jahrzehnten vergessen und seiner Bücher beraubt, bis auf eine Bibel mit Einband aus Lederimitat und ein Gesangbuch. Wenn man den Fehler beging, den Lichtschalter zu betätigen, dann wurden die Mühen der Glühbirne von einem vergilbten Stoffschirm mit braunem Kordelbesatz erstickt.
    Der vergleichsweise fröhliche dunkelgraue Hartschalenkoffer eines geübten Dienstreisenden, den Richard auf dem Schreibtisch abgelegt hatte, war das Einzige, was mich vom Spontanselbstmord abhielt. In diesem perfekten Mangel an Lebenslust war der Bub jeden Morgen aufgewacht. Mir gebet nix, mir kaufet nix, mir lachet net, mir schaffet nur und bete den mer, dass ma uns nix nimmt.
    Ich hatte zwei Stunden komatös geschlafen.
    Richard saß in seines Vaters Arbeitszimmer auf dem Boden inmitten von Aktenordnern. Cipión lag unter dem Schreibtisch, hatte den Kopf auf seine Stummelpfoten gelegt und betrachtete besorgt das wachsende Chaos.
    »Wie geht es Vicky? Hast du mit Barbara telefoniert?«
    Richard schüttelte den Kopf.
    »Was machst du da?«
    »Ich muss irgendwas tun.«
    »Du solltest dein Verhältnis zu deiner Mutter überdenken. Was hat sie schon für dich getan?«
    »Sie hat mich vor meinem Vater gerettet. Sie hat dafür gesorgt, dass ich nach Stuttgart kam, und als ich die Unterschrift meines Vaters fürs Gymnasium fälschte, hat sie mich gedeckt.«
    »Leider hat sie etwas lange damit gewartet, deinen Vater zu vergiften! Ein Tyrannenmord nach sechzig Jahren Sklaverei taugt schlecht, um sich auf Notwehr rauszureden.«
    »Lisa!«
    »Ganz ruhig! Ein paar Asse haben wir doch auch noch im Ärmel.«
    Es war eine der sehr seltenen Gelegenheiten, wo er mich hoffnungsvoll anblickte.
    »Zum Beispiel Barbara. Sie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Naturheilverfahren. Das geht nicht ohne Giftpflanzen und Pflanzengifte, die man auch ätherische öle nennt. Mit einem Tropfen Pfefferminzöl kann man beispielsweise ein Baby umbringen. Alles ist Gift, allein die Dosis …«
    »Alle Dinge sind Gift«, unterbrach er mich, um korrekt zu zitieren, »und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist. Paracelsus.«
    »Na siehst du, es geht doch!«
    »Aber Barbara würde wohl kaum ihren eigenen Sohn vergiften.«
    »Eine Panne. Sie wusste nicht, dass Vicky den noch gefüllten Flachmann bekommen würde.«
    »Sie hätte ihn leeren können, als sie Freitagabend meiner Mutter half. Das hätte sie sogar tun müssen, wenn das Gift von ihr stammte. Es wäre der Hauptzweck ihres Anrufs bei meiner Mutter und ihres Erscheinens im Todeshaus gewesen.«
    »Okay, du Rechthaber«, sagte ich. »Aber wenn du jetzt etwas wirklich Sinnvolles tun willst, wie wäre es mit kochen? Ich habe, wenn ich es recht bedenke, seit dem Gulasch gestern Mittag nichts mehr gegessen. Und das war grässlich, denn ich hatte es gekocht.«
    Richard stand folgsam auf, blickte aber mit Trennungsschmerz auf die Ordner am Boden.
    »Und wenn du in der Küche bist«, sagte ich, »kannst du auch gleich alle Fläschchen mit Grünzeug in Alkohol beseitigen, wenn Kromppein schon so blöd ist, deine Mutter einzukasteln, bevor ihm ein Richter den Durchsuchungsbeschluss unterschreibt.«
    Richard knurrte unwillig, schaute auf die Uhr – es war kurz vor halb sechs – und stolperte. Beim Versuch, sich abzufangen, rutsche er auf dem nächsten Ordner aus, der mit hässlichem Ratschen zwei Ordner ineinander und unter den Schreibtisch schob. Cipión sprang senkrecht in die Höhe und knallte mit dem Kopf gegen die Mittelschublade des Schreibtischs. Richard krallte sich in den Schreibtischstuhl, der wegrollte, und klammerte sich mit der anderen Hand an mich. Ich hielt.
    Dieser Mann brauchte wirklich nichts mehr, um einzusehen, dass er die Kontrolle über sich und sein Leben verloren hatte.
    »Entschuldige«, sagte er, sich aufrichtend, und zuckte zusammen. »Ach so ja, ich soll mich ja nicht entschuldigen. Ich wusste gar nicht, dass meine Entschuldigungen so eisig klingen.«
    »Sie setzen praktisch den ins Unrecht, bei dem du dich entschuldigst.«
    »Aber so ist das nicht gemeint, Lisa.« Er versuchte zu lächeln. »Es tut mir leid … nein, entschuldige …« Er lachte hilflos. »Weißt du, die Familie hält Prüfungen für uns bereit, auf die wir uns nicht vorbereiten können. Wir denken uns unsere Eltern unveränderlich. Und auf einmal stirbt einer. Aber es ist nicht der Tod, es ist die Art und Weise, wie er kommt, so ganz anders, als wir ihn uns vorgestellt

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