Allmen und der rosa Diamant
Diamant.«
10
Allmen sah sich gezwungen, trotz des warmen Wetters die Spuren seiner Fesselung unter schweren Doppelmanschetten zu verbergen. Er beging zwar auch bei diesen Temperaturen nie den Stilbruch, kurze Ärmel unter dem Jackett zu tragen, aber leichte Sommerhemden mit einfachen Manschetten und simplen Perlmuttknöpfen schon.
Für Carlos war es noch schwieriger. Er trug seine Kampfspuren im Gesicht. Das in allen Farben schillernde Auge war so unübersehbar, dass er sich nicht auf die Straße wagte. Ein Illegaler sollte möglichst unauffällig sein.
Das Problem waren die Einkäufe. Zum ersten Mal in seinem Leben tat Carlos das Undenkbare: Er bat seinen Patrón, einkaufen zu gehen. Er gab ihm einen Einkaufszettel, auf den er fein säuberlich ein paar Produkte des täglichen Bedarfs notiert hatte: Brot, Käse, Butter, Sahne, Rindsragout, ein Stubenküken, Haushaltspapier, Toilettenpapier. Er schrieb ihm den Namen des Supermarkts auf und skizzierte ihm, was an welcher Stelle zu finden war.
Trotzdem scheiterte Allmen an der Aufgabe. Er verstand das System mit den Einkaufswagen nicht, und als er es einer Hausfrau abgeschaut hatte, fand er kein Zweifrankenstück. Er behalf sich mit einem Korb und machte sich auf die Suche.
Zuerst stieß er auf das, was ihm am peinlichsten war: das Toilettenpapier. Er merkte sich die Stelle und wollte zurückkommen, wenn er bereits ein paar Produkte zur Tarnung beisammenhatte.
Erst eine Viertelstunde später fand er sie wieder. Er nahm zwei Rollen - die großen Familienpackungen waren ihm zu auffällig - und bedeckte sie mit den sechs Tiefkühlpizzen, für die er sich entschieden hatte anstelle der notierten Einkäufe. Er selbst würde auswärts essen und Carlos die praktischen, arbeitssparenden Pizzen, bis er sich wieder auf die Straße wagen konnte.
Allmen ging zur Kasse, bezahlte bar, wunderte sich über den niedrigen Preis und hätte der Kassiererin aus alter Gewohnheit beinahe ein Trinkgeld gegeben.
Auf dem Kundenparkplatz erwartete ihn Herr Arnold mit dem Cadillac und verstaute die kompromittierende Einkaufstasche im Kofferraum.
Carlos nahm die Einkäufe entgegen, ohne eine Miene zu verziehen. Als Allmen begann, ihm die Vorzüge der Fertigpizza anzupreisen, antwortete er nur mit seinem »como no, cómo no«. Danach ging er in die Küche und stopfte die Pizzen ins Tiefkühlfach.
Allmen bekam ihn erst zum Vieruhrtee wieder zu Gesicht. Stumm schenkte er ihm ein.
»Verzeihen Sie, Carlos, ich bin einfach nicht für diese Haushaltssachen geschaffen. Warum bitten Sie nicht Maria Moreno, etwas öfter im Haushalt zu helfen, bis Sie wiederhergestellt sind?«
»Weil wir es uns nicht leisten können, Don John. Von Señor Montgomery haben wir nichts mehr zu erwarten.«
»Ein wenig Geld haben wir ja noch. Und es werden neue Aufträge kommen.«
11
Aber in den Tagen, die folgten, traf kein neuer Auftrag ein. Der späte August bescherte ihnen ein paar schöne Tage, Carlos’ vermöbeltes Gesicht nahm wieder seine gewohnten scharfen Konturen an, und Allmen fand seinen gewohnten Rhythmus wieder zwischen Viennois, Siesta, Promenade, Golden Bar und Oper.
Doch in den ersten Tagen des Septembers waren zwei außergewöhnliche Ereignisse zu verzeichnen:
Das erste war eine überraschende Begegnung im kleinen Gärtnerhaus. Allmen, der nie ein Frühaufsteher, aber ab und zu ein Spätheimkehrer war, kam kurz vor sechs Uhr früh nach Hause. Er hatte nach dem Essen im Promenade noch im >Süden< hereingeschaut, einem neuen Club, zu dessen kürzlicher Eröffnung er von einer fröhlichen Abendgesellschaft mitgenommen worden war und dessen Betreiber er durch sein Auftreten und Aussehen so beeindruckt hatte, dass er ihm eine VIP-Karte aufgedrängt hatte.
Er hatte einen Drink genommen und einen zweiten, beide on the house, und als er sich verabschieden wollte, war er von der gerade ankommenden Jasmin, einer Freundin aus besseren Zeiten, abgefangen und zurück an die Bar geschleppt worden. Später hatte er sie nach Hause begleitet und ihre Einladung zu einem Gutenachtbier angenommen.
Es war ein frischer Morgen, Tau lag auf dem Rasen und ein wenig Herbst in der Luft. Allmen ging, den Schlüsselbund in der Hand, auf das Gartenhaus zu, als er plötzlich zwei Gestalten sah, die sich vor der halboffenen Haustür voneinander lösten. Der Mann war Carlos, die Frau - Maria Moreno.
Den beiden Herren war die Begegnung um einiges peinlicher als der Frau. Sie begrüßte Allmen ganz unbefangen
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