Allmen und der rosa Diamant
»Deleted.«
Ein paar Tage darauf schrieb Sokolow an La Route: »X brennend interessiert! Verhandeln?«
La Route antwortete: »Verhandeln.«
Dann folgten noch fünf Mails zum Thema. Die erste war die Ankündigung einer Überweisung - »your share of the advance payment«, dein Anteil am Vorschuss - in Höhe von 200 000 Dollar. Mit der Bitte um Mitteilung der Bankverbindung.
Es folgte die Mail mit Sokolows Bankverbindung eine Stunde später.
Erst drei Wochen danach fand sich wieder eine Nachricht unter dem Betreff »vivid p«. Sie ging von Sokolow an La Route und lautete: »Hi Paul, wenn du das nächste Mal zu Besuch kommst, wohnst du bei mir (s. Foto). Regarás Artjom.« Angehängt war ein Foto eines Einfamilienhauses, das Carlos als das in der Spätbergstraße erkannte.
Doch dann fand sich, nach ein paar Tagen, in Sokolows Maileingang eine Nachricht der höchsten Dringlichkeitsstufe. Betreff: »Troubles!!! Sicherheitskopie machen, an sicherem Ort verstecken (schreib mir, wo!). Alles löschen, was uns miteinander in Verbindung bringt! Alles!«
Sokolows Antwort trug dasselbe Datum. Sie bestand aus einem einzigen Wort: »Grotto.«
Carlos machte Suchläufe nach dem Betreff »vivid p«, dem Absender Paul, dem Empfänger Paul, wiederholte das Ganze mit »La Route«, suchte die Inhalte aller Nachrichten in allen Postfächern nach den wichtigsten Stichworten ab, die in diesen elf Mails vorkamen - nichts. Kein weiterer Hinweis auf den rosa Diamanten. Noch immer drangen Klavierakkorde herauf. Carlos klappte den Laptop zu, nahm das Gerät unter den Arm und stieg die schmale, steile Treppe hinunter.
13
Allmen wäre in Gedanken wohl ebenfalls beim Geheimnis des rosa Diamanten gewesen, wenn er sich nicht mit den Nocturnes abgelenkt hätte. Nicht jede Form des Klavierspiels taugte zur Ablenkung. Wenn er einfach so aus seinem Repertoire vor sich hin klimperte, verließen seine Gedanken bald einmal die Musik, begannen zu wandern, und eh er sich’s versah, landeten sie wieder dort, von wo er sie hatte weglocken wollen. Aber wenn er vom Blatt spielte, brauchte er jeden seiner Gedanken. Das tat zwar seinem Spiel nicht gut, aber es enthob ihn, wie sonst nur das Lesen, der Wirklichkeit.
Als Carlos ihn mit seinem »conpermiso« in diese zurückholte, fuhr Allmen zusammen.
»Disculpe«, sagte Carlos, »ich hörte, dass Sie noch auf sind.«
»Worum geht’s?«
»Um den rosa Diamanten.«
Allmen breitete den Tastenläufer über die Tasten, schloss den Deckel und erhob sich.
Carlos hielt ihm den Zeitungsartikel entgegen. Allmen bot ihm einen Stuhl in der Art-déco-Sitzgruppe an, setzte sich dazu und las den Bericht.
»Und jetzt vermuten Sie, dass unser kleines Ding dieses Programm war?«
»Ich vermute es nicht, ich weiß es.« Carlos klappte den Laptop auf und stellte ihn auf den Clubtisch. Er öffnete die erste Mail. »Fijese, Don John - stellen Sie sich vor! -, die Nachricht ist von Paul La Route an Artjom Sokolow.«
»No me diga!«, stieß Allmen aus und begann zu lesen.
Bei der zweiten Mail war auch Allmen klar, dass Sokolow der Komplize von La Route war.
»Vivid P«, sagte Allmen, »wissen Sie, was das heißt? Vivid Pink, die Fachbezeichnung für den rosa Diamanten!«
Bei der dritten Nachricht erschien auf dem Bildschirm die Aufforderung, den Computer ans Stromnetz anzuschließen, die Batterie sei fast leer.
»Hier«, sagte Allmen und deutete auf den Bildschirm.
»Ich habe kein Netzkabel.«
»Warum nicht?«
»Bei allem Respekt, Don John: Weil Sie es nicht entwendet haben. Ich habe eines bestellt, es sollte morgen kommen.«
Allmen erinnerte sich vage an ein Kabel, das er in Sokolows Unordnung gesehen hatte, und las weiter.
»Mission completed, Programm kopiert und gelöscht«, war sein Kommentar zur fünften Mail.
Bei der siebten sah er Carlos an. Dieser nickte. »Fijese! La Route verkaufte an Hedge&Win, und Sokolow verhandelte mit weiteren Interessenten!«
Danach schwieg er bis zur neunten. »Zweihunderttausend Dollar Vorschuss! Auf wie viel wohl? Es muss viel gewesen sein. Er hat gesagt, er übe auf Vorschuss für seinen bevorstehenden Reichtum.«
Das Foto in der elften Mail entlockte Allmen den Kommentar: »Ist sie nicht entsetzlich, die Villa in der Spätbergstraße?«
Carlos schwieg. Villen in dieser Gegend lagen so weit außerhalb seines Denkens, dass er sich über ihre Ästhetik keine Meinung bildete. Aber zur nächsten Bemerkung hatte er einen Kommentar. Es war die zwölfte Mail mit dem
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