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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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außer Sicht war, ließ Cheryl Talfeld die Lifttür zufallen. »Kommen Sie.«
    Allmen und der aufgewühlte Carlos folgten ihr in ein Zimmer mit ein paar ausgesuchten Polstermöbeln aus Dalia Gutbauers Art-déco-Kollektion und einem Lounge Chair, der schlecht ins Ensemble passte. Die vier Fenster gingen auf die Geschäftshäuser hinaus, die im ehemaligen Hotelpark entstanden waren. In einigen Etagen brannte noch grelles Bürolicht. Cheryl Talfeld bot ihnen zwei der Art-déco-Sessel an und zog die Vorhänge zu. Sie setzte sich in den Lounge Chair und sah ihre beiden Gäste etwas ratlos an.
    [64]  Zu ihrer Überraschung war es der kleine, von seinem großen Auftritt erschöpfte Zentralamerikaner, der als Erster sprach. Er deutete auf die Tulpen am Fenster, die jetzt krumm und aufgeblüht in alle Richtungen aus der Vase wuchsen, und sagte: »Nicht so viel Wasser für die Tulpen, Señora, drei Zentimeter reichen.«
    »Herr de Leon ist ein großer Blumenfachmann«, erklärte Allmen, »unter anderem.«
    Cheryl nickte. Sie wusste nicht, weshalb sie die beiden in ihr Zimmer gebeten hatte. Sie hätten den Lift betreten, und sie hätte die Tür hinter ihnen zufallen lassen. Vielleicht lag es daran, dass sie in all den Jahren in dieser von der Außenwelt abgeschnittenen kalten Welt der Dalia Gutbauer noch nie einen so großen Ausbruch echter Gefühle erlebt hatte. Der kleine Mann hatte sie berührt. Aber das allein hätte nicht gereicht. Die Kaltschnäuzigkeit der alten Frau hatte sie wütend gemacht. Dass die beiden jetzt in ihrem Zimmer saßen, war ihre Art, sich von Dalia Gutbauer zu distanzieren. So viel wurde ihr jetzt klar. Wie es nun weitergehen sollte, wusste sie nicht.
    »Morgen, zehn Uhr«, sagte Allmen in die Stille hinein.
    »Glauben Sie, dass die wirklich…?«
    »Bei Claude Tenz haben sie ja auch wirklich…«
    [65]  »Haben Sie nicht gesagt, das sei vielleicht ein Unfall gewesen? Die seien einfach bei der Befragung zu weit gegangen?«
    Bevor Allmen antworten konnte, sagte Carlos: »Leuten, die Menschen entführen, ist alles zuzutrauen. In meinem Land töten sie ihre Opfer, selbst wenn sie das Lösegeld bekommen.«
    »Welches ist Ihr Land?«, fragte Cheryl.
    »La República de Guatemala.«
    Ihre Hotelkarriere hatte sie unter anderem nach Mexiko und Kolumbien geführt. Sie wusste, dass Allmens Assistent nicht übertrieb. Mehr zum Trost als um zu widersprechen sagte sie: »Sie sind hier nicht in Guatemala.«
    »Das war der Señor Tenz auch nicht, Señora.«
    Cheryl Talfeld dachte nach. Die beiden Männer hüteten sich, sie dabei zu stören. Sie ahnten, dass sie dabei war, eine wichtige Entscheidung zu treffen.
    Es klopfte, und gleich darauf betrat Monsieur Louis den Raum. »Zwei Herren von der Security«, meldete er.
    Hinter ihm standen zwei Männer in Khaki Overalls. Frau Talfeld stand auf und ging auf sie zu.
    »Beletti«, stellte sich der Schmächtigere der beiden vor und begrüßte sie mit einem harten Händedruck, während er misstrauisch an ihr vorbei zu [66]  Allmen und Carlos blickte. »Alles in Ordnung?«
    »Alles in Ordnung«, versicherte sie. »Ein Missverständnis.«
    Belettis Kollege, ein kahlgeschorener vierschrötiger Kerl mit kunstvoll getrimmtem Bart, stand die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Er steckte etwas in seinen mit allerlei Metallgegenständen behangenen Gürtel zurück, das Cheryl nicht erkennen konnte. Beletti nahm ein Formular aus der Brusttasche, hielt es gegen den Türrahmen und füllte es umständlich aus.
    Ein paar Minuten lang war die Entscheidung über María Morenos Schicksal auf Eis gelegt durch die Bürokratie des Sicherheitsdienstes.
    Als sie wieder unter sich waren und Cheryl Talfeld in ihrem Lounge Chair saß, sagte sie: »Also. Was tun wir?«
    Sie war selbst überrascht, dass sie »wir« gesagt hatte. Als hätte die Unterbrechung ohne ihr Zutun zu der Entscheidung geführt, dass sie nun auf der Seite der beiden Männer stand.
    »Sie kümmern sich um den Butler, während wir uns das Bild ausleihen«, schlug Allmen vor, der in Eigentumsfragen nicht zimperlich war.
    Cheryl hatte dieses Vorgehen, das das Ende ihrer Zusammenarbeit mit Dalia Gutbauer bedeuten würde, auch schon in Erwägung gezogen. Aber [67]  Carlos hatte einen differenzierteren Vorschlag:
    »Wenn wir die Polizei einschalten, riskiert María die Ausweisung. Aber das ist besser als der Tod.«
    »Sehr vernünftig, Carlos. Das war von Anfang an meine Meinung.«
    »Allerdings«, fügte Carlos hinzu, »ist

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