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Allmen und die verschwundene María

Allmen und die verschwundene María

Titel: Allmen und die verschwundene María Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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das Bild dann für Madame Gutbauer ebenfalls verloren. Und zwar auf weniger diskrete Art.« Er senkte bescheiden den Kopf und wartete.
    Cheryl Talfeld nickte. Sie konnte sich den Skandal vorstellen, wenn die Öffentlichkeit erfuhr, dass Dalia Gutbauer seit Jahrzehnten ein Bild besaß, von dem sie wusste, dass es ein Liebhaber für sie gestohlen hatte.
    Allmen, der Carlos besser kannte, begriff als Erster: »Sie schlagen vor, dass wir Madame Gutbauer darüber informieren, dass wir die Polizei einschalten werden, wenn sie das Bild nicht herausrückt?«
    Carlos hob die Schultern. »Was bleibt uns denn anderes übrig?«
    Cheryl Talfeld erhob sich mit einem grimmigen Lächeln. »Warten Sie hier.«
    [68]  12
    Cheryl Talfeld ging am offiziellen Schlafzimmer ihrer Chefin vorbei bis zu ihrem tatsächlichen. Durch die Tür hörte sie eine monotone Stimme. Es war die ihrer Nachtpflegerin, die ihr wie jeden Abend vorlas.
    Cheryl klopfte, und die Stimme verstummte. Kurz darauf wurde die Tür ein wenig geöffnet, und das Gesicht der Schwester erschien im Spalt. Es entspannte sich ein wenig, als sie Madames Assistentin erkannte, aber ihre Stimme klang immer noch sehr irritiert, als sie fragte: »Wissen Sie, wie spät es ist?«
    »Es handelt sich um etwas Unaufschiebbares.«
    »Wer ist es, Schwester?«, rief Dalia Gutbauer.
    »Frau Talfeld«, rief diese über die Schulter zurück. »Etwas Unaufschiebbares.«
    »Unaufschiebbar ist nur der Tod«, rief Dalia zurück.
    Und Cheryl, jetzt auch laut genug für ihre Chefin: »Um diesen handelt es sich, Madame!«
    »Lassen Sie sie rein, Schwester.«
    Die Nachtschwester öffnete die Tür und trat beiseite. Im Zimmer roch es nach Kampfer, Eukalyptusöl und Menthol, Dalia Gutbauer kämpfte mit einer Erkältung. Die alte Frau lag in ihrem [69]  Krankenhausbett. Eine voluminöse Daunendecke verbarg auf den ersten Blick ihren Kopf. Er befand sich außerhalb des Lichtkegels, der auf einen Stuhl neben dem Bett gerichtet war. Auf dessen Sitzpolster aus bordeauxfarbenem Leder lag ein aufgeschlagenes Buch.
    Cheryl ging zu ihr. Jetzt sah sie, dass Madame Gutbauer über ihre dichte weiße Wuschelfrisur ein Haarnetz gestülpt hatte. Sie war abgeschminkt und trug keine Brille. Cheryl Talfeld hatte sie schon zwei-, dreimal so gesehen. Aber diesmal kam sie ihr noch fremder vor als die anderen Male.
    Ihre Stimme machte sie wieder vertrauter. »Setzen Sie sich«, befahl sie. Und zur Nachtschwester: »Ich klingle dann, Schwester.«
    Die Pflegerin verließ das Zimmer und schloss die Tür geräuschlos hinter sich.
    Cheryl nahm das Buch vom Stuhl. Es war Hotel Shanghai von Vicki Baum. Sie setzte sich und fühlte, wie die Angst vor der Alten ihre Wut auf sie besiegte.
    »Um den Tod von wem noch außer mir?«, fragte Dalia ruppig.
    »Von Frau Moreno.« Cheryls Antwort klang nicht so selbstsicher wie beabsichtigt.
    »Kenne keine Frau Moreno.«
    »Die Mitarbeiterin der beiden Herren von eben.«
    [70]  »Wie gesagt: Ich kenne sie nicht. Wenn ich mir auch noch um alle, die ich nicht kenne, Sorgen machen würde, wäre ich nicht so alt geworden.«
    Cheryl besann sich auf ihren ursprünglichen Plan: »Es geht nur indirekt um Frau Moreno. In Wirklichkeit geht es um Sie, Madame Gutbauer.«
    Damit waren sie bei einem Thema, das Dalia Gutbauer interessierte. Vielleicht dem einzigen. Sie richtete sich auf ihrem Kissen etwas auf und fragte: »Um mich? Inwiefern?«
    »Das Bild ist Ihre einzige Möglichkeit, die Polizei aus dem Spiel zu lassen.«
    Ihre Chefin lächelte müde. »Die Behörden hier sind diskret. Die wissen seit bald zwanzig Jahren, dass ich hier lebe, und noch nie hat die Öffentlichkeit davon erfahren.«
    »Aber wir haben es hier mit Allmen International Inquiries zu tun«, wandte Cheryl ein. »Das ist keine Behörde.«
    »Aber eine Firma, die von der Diskretion lebt«, sagte Dalia Gutbauer abschließend. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Allmen damit droht, an die Öffentlichkeit zu gehen. Aber danke, dass Sie mich gewarnt haben.« Sie griff nach der Klingel, die am Haltegriff über ihr hing.
    Doch Cheryl gab nicht auf. »Von Herrn von Allmen haben wir nichts zu befürchten. Aber von [71]  seinem Mitarbeiter. Sie haben ja miterlebt, wie verzweifelt er ist.«
    Die knorrige Hand mit den perfekten rotlackierten Nägeln ließ von der Klingel ab und sank zurück auf die Daunendecke.
    »Er liebt die Frau«, doppelte Cheryl nach.
    Die alte Frau schloss die Augen, als hätte sie das Gespräch erschöpft. Sie

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