Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Westen militärisch, technologisch und wirtschaftlich schwächer, dann wollen die arabischen Gesellschaften doch wenigstens moralisch die Oberhand gewinnen. Also stellen sie sich gerne als Hochburgen der außerehelichen Keuschheit dar, weit entfernt von den Verlockungen des Westens, dem Teufel Alkohol, der Prostitution und den Drogen aller Art. Sicherlich, viele sind ernsthaft und wollen ehrlich ihre religiösen und traditionellen Ideale leben, aber auch das arabisch-islamische Fleisch zeigt allzu menschliche Schwächen. Der Graben zwischen tugendhaftem Ehrgeiz und Lebenswirklichkeit ist tief, was häufig zu einer absurden kollektiven Heuchelei führt, die den arabischen Gesellschaften zwei Gesichter verleiht.
Jenseits vom Alkohol findet sich das Verbot von Drogen, von Haschisch bis Heroin, in allen arabischen Strafgesetzbüchern wieder. Dennoch wird damit, wie im Rest der Welt, ein reger Handel betrieben. Vor den Drogenopfern schließt man staatlicherseits lieber die Augen. Drogenabhängige bleiben auf sich gestellt. Das Gesundheitskomitee des ägyptischen Parlaments schätzt, dass jährlich drei Milliarden Dollar im Land am Nil für Drogen ausgegeben werden, und spricht wohl eher konservativ von geschätzt 20 000 drogenabhängigen, meist jungen Ägyptern. Eine andere regierungsnahe Studie schätzt, dass 15 Prozent der Studenten an ägyptischen Universitäten Drogen zu sich nehmen. Das Budget für staatliche Entzugsprogramme beträgt demgegenüber jährlich weniger als 5000 (fünftausend!) Dollar.
Es löst die Zunge, aber benebelt nicht den Verstand
(Sana’a, den 30. September 1993)
Arabia felix, das glückliche Arabien, wie der Jemen, an der Südspitze der arabischen Halbinsel, genannt wird, ist alkoholisch eine Wüste, eine andere Volksdroge, das Qat, gedeiht dort umso prächtiger.
Die maqiyal – die nachmittäglichen Qat-Sitzungen, in denen das Leben draußen auf den Straßen für wenige Stunden die Luft anhält, sind aus dem Leben der meisten Jemeniten wohl kaum wegzudenken. Doch es ist nicht die Droge, die im Mittelpunkt steht, es sind nicht die grünen Zweige der Qat-Pflanze, die stundenlang gekaut werden. Was der Kaffee fürs Kaffeekränzchen, das ist der Qat im maqiyal . Am Ende zählt eben doch nur das Happening.
Während einer Qat-Sitzung werden Meinungen ausgetauscht, gebildet, verändert oder erhärtet. Die Literatursalons des alten Europa sind wohl eher ein schwacher Vergleich für eine solche Institution. Wäre Montesquieu Jemenit gewesen, hätte er sicherlich von den vier Gewalten gesprochen, die es zu teilen gilt: Der ausführenden, der gesetzgebenden, der rechtsprechenden und eben der Gewalt des maqiyal .
Montags lädt der kuwaitische Botschafter zum Kau. Dienstags treffen sich die wichtigsten Vertreter der Parteien, um ihre neuesten Vorschläge für die jemenitische Verfassung auszukochen: lange bevor sie sie im Parlament diskutieren. Mittwochs mümmelt man mit dem neuen Kulturminister, um die rechtliche Stellung der Frauen im neuen Familiengesetz zu erörtern. Sonntags wird im Menschenrechtsverein der Islamisten kauenderweise versucht, einen Streit um ein Stück Land außerhalb des Gerichts zu schlichten. Es wird so gut wie alles besprochen, verhandelt und ausgeklüngelt. Das Narkotikum bleibt Nebensache. Es ist die Kunst des Palaverns, der Vortrag, die Formulierung und das überzeugende Argument, das Tag für Tag in diesen Sitzungen geübt wird.
Gegner des Qat sprechen von der schädigenden Auswirkung des Grünzeugs auf die jemenitische Wirtschaft. Zuviel fruchtbarer Boden würde mit dessen Anbau verschwendet, zuviel unproduktive Zeit auf solchen Sitzungen verbracht. Schon seit Jahrhunderten herrscht Streit darüber, ob Qat zu den im Koran verbotenen Drogen gehört. Der islamische Rechtsgelehrte Ibn Hadschar al Haythami ordnete bereits vor fast 500 Jahren den Qat den so genannten schubahat, also den Dingen zu, die in den islamischen Quellen nicht zustimmend oder ablehnend behandelt werden. Er riet den Bewohnern von Sana’a, sich von der Droge fernzuhalten, auch wenn sie nicht ausdrücklich im Koran verboten ist. Doch bis heute hat sich diese Lehrmeinung nicht durchgesetzt.
Auf einer Reihe von Sitzkissen, jeweils mit einem Polster zwischen den Nachbarn zum Aufstützen des Armes, wird Platz genommen. In der Mitte des mafrasch , wie der Salon genannt wird, stapelt sich der Qat, der die stimulierende Wirkung einer überdimensionalen Portion Kaffee hat. Zweig für Zweig wird das
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