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Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Titel: Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim El-Gawhary
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Pflänzchen auseinandergepflückt. Die zarten rot-grünen Spitzen enden in den jeweils linken Backen. Besonders Geübte schaffen es, dort eine tennisballgroße Kugel zu speichern. Zwischendrin wird mit etwas Wasser aus der Plastikflasche nachgespült. Qat-Sitzungen können ohne Übertreibung als die Basis der politischen Kultur des Landes beschrieben werden. Ähnlich wie bayerische Politiker in Bierzelten unter weißblauem Himmel gerne publikumswirksam anzapfen, werben Jemens Politiker bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus in rauschenden Qat-Sitzungen für ihr Programm. Statt an Biertischen gedrängt hocken Jemens potenzielle Wähler auf Sitzkissen gebettet.
    Bei den ersten Parlamentswahlen im vereinigten Jemen durfte ich selbst einmal an dieser weltweit einzigartigen Art von Wahlkampfveranstaltung teilnehmen. Die Luft stand vom Rauch der Zigaretten und Wasserpfeifen. Um einen Berg der berauschenden grünen Qat-Blätter, ein Dutzend Spucknäpfe und etliche Wasserflaschen saß eine Gruppe von 50 Männern, unter ihnen der Kandidat der Regierungspartei, und debattierten sich die Köpfe heiß. Der Kandidat Ali Muhammad Usrub, im Wahlkreis Nummer 14 der Hauptstadt Sana’a, brachte in seinem Wahlkampf 52 solcher Qat-Sitzungen hinter sich. Drei bis vier schaffte er am Tag, das sah man schon seinen professionellen Kaubewegungen an. Zur Debatte stand so ziemlich alles, von der nationalen Einheit bis zu Beschwerden über die ständigen Stromausfälle im Viertel. Zwischendrin pries ein örtlicher Parteipoet in einem Gedicht die Errungenschaften der Regierungspartei, nicht ohne sich im leidenschaftlichen Rezitieren am Qat zu verschlucken. Das war der richtige Zeitpunkt für den Wahlhelfer, der flugs noch einmal den Wahlzettel hochhielt. Die Sache ist äußerst einfach: „Macht euer Kreuzchen beim Pferd“, rief er, und damit auch gar nichts schiefgehen kann, deutete er am Ende noch einmal auf das Symbol des Kandidaten. Der eilte anschließend sofort zur nächsten pflanzlichen Wahlkampf-Sitzung.
    Wie besorgt man sich im trockenen Jemen einen Drink?
    (Mokka, den 27. April 1997)
    Mafrag, „die Kreuzung“, nennen die Jemeniten schlicht den Ort des Verderbens. Ein paar Steinhütten, eine Straßengabelung und ein paar junge Männer und Kinder am Straßenrand, nichts Außergewöhnliches. Erst der zum Mund geführte Daumen eines der Männer und die schlichte Frage: „Suchen Sie etwas zu trinken?“ machen stutzig.
    Und dann wird es konspirativ. Ein Wink, hinter die Hütte zu kommen, und ein kurzer Blick, der sicherstellt, dass die Luft auch tatsächlich rein ist, lassen erahnen, dass es sich hier nicht um eine einfache Einladung zum Tee handelt. Was hier bei einem kurzen Stelldichein zwischen Hütte und staubigen Dornenbüschen angeboten wird, ist im Jemen, in dem offiziell die islamische Prohibition herrscht, strikt verboten.
    Und wird gut verborgen! Leicht sandig und fast kochendheiß werden die Bierdosen ausgegraben. Wie lange sie schon eingegraben waren oder in der Sonne lagen, will der stolze Verkäufer nicht verraten. Stattdessen entschließt er sich zu einem weiteren Schritt. Nach fünfminütiger Fahrt über eine Steinpiste kommt die Hütte der Familie in Sicht: ein Feldbett, ein paar Plastikmatten auf dem Boden und – kistenweise Whisky, Wodka und Gin. Das ist der „Mualim“, der Meister, erklärt das alte Familienoberhaupt und zieht eine bekannte schottische Marke aus dem Karton.
    Er kennt sich aus. Seit zwanzig Jahren ist er im Schmuggelgeschäft. Einmal im Monat bekommt er von einem jemenitischen Zwischenhändler neue Ladung übers Meer von der afrikanischen Küste aus Dschibuti. Viel dürfte für ihn dabei finanziell nicht übrig bleiben. „Ich kann mit meiner zehnköpfigen Familie gerade so davon leben“, sagt er und deutet auf die schlichte Einrichtung seiner Hütte.
    Ironischerweise war diese Gegend einst berühmt für ein Genussmittel ganz anderer Art. Die Rotmeer-Hafenstadt Mokka liegt nur eine gute halbe Autostunde entfernt. Von hier aus wurde, wie der Name schon andeutet, bis zum 17. Jahrhundert der gesamte weltweite Kaffeehandel abgewickelt. Doch es waren die Holländer, denen es schließlich gelang, das Monopol zu brechen, ein paar der wertvollen Kaffeepflanzen aus dem Land zu schmuggeln und dann wesentlich billiger in Java und Ceylon anzubauen. Damit waren die Tage Mokkas gezählt. Schon längst haben der Sand und das Salz die einst blühenden Handelskontore und die Paläste der Kaffee-Paschas bis auf die

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