Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
an der Spitze des Staates seinem Volk genauso wenig Rechenschaft schuldig wie sein Beamtenapparat. Berüchtigt sind die alle sechs Jahre wiederkehrenden Präsidentschaftsreferenden, die inzwischen, demokratisch modern, zu Wahlen mit unbedeutenden Gegenkandidaten weiterentwickelt wurden. „Wenn wir eine Meinungsumfrage über unseren Gott durchführen würden, hätte er nicht das gleiche Ergebnis erlangt“, lautete eine satirische Anmerkung der Ägypter, als deren Präsident Anwar Al-Sadat sich ehemals gar mit einer Kommastelle jenseits der 99-Prozent-Marke wiederwählen ließ. Dabei gilt für alle arabischen Regime: Es gibt nur biologische oder gewalttätige Veränderungen, entweder der Präsident stirbt oder er wird ermordet. Und selbst dann greifen die Regime gerne auf die Sprösslinge der Präsidenten zurück. Kein einziger arabischer Staatenlenker ist jemals abgetreten oder gar abgewählt worden. Ein arabischer Bürger, oder vielleicht besser „Untertan“, hat bei den großen Entscheidungsprozessen, die sein Land betreffen, nichts mitzubestimmen.
Mit der politischen Impotenz im Großen geht die Machtlosigkeit im Kleinen einher und die Kultur des Bakschisch – des Bestechungsgeldes. Immer wieder schaffen es spektakuläre ägyptische Häuserzusammenstürze selbst bis in internationale Schlagzeilen. Etwa der Kollaps eines 12-stöckigen Wohnblocks in Alexandria kurz nach Weihnachten 2007. Über 20 Leichen wurden aus den Trümmern geborgen. Der Grund des Einsturzes: Die Hausbesitzerin hatte das Haus um fünf illegale Etagen aufstocken lassen, bis das Fundament schließlich nachgab. Warum die Baubehörde nicht eingegriffen hat, weiß jedes ägyptische Kind. Gegen ein wenig Bares schauten die ägyptischen Bürokraten wie so oft in die andere Richtung.
Alexandrias Bürgermeister Adel Labib sprach nach dem Desaster davon, dass es in der Stadt sage und schreibe 31 000 Verletzungen des Baurechts gebe, die den Behörden bekannt seien. Oft, klagte der Stadtvater, lebten einflussreiche Persönlichkeiten in den Gebäuden und „schützten“ diese vor Abrissanordnungen, gab er freimütig in der Tageszeitung Al-Ahram zu.
Genau in der Woche, als das Gebäude in Alexandria zusammenbrach, stellte mein Nachbar, ein hoher Beamter im Umweltministerium, gerade sein illegales zehntes Stockwerk in Kairo fertig. Der Nachbarschaft blieb nicht viel mehr, als zähneknirschend bei den Bauarbeiten zuzusehen. Denn sicherlich hat auch hier unter der Hand Geld den Besitzer gewechselt.
Eine Umfrage in fünf arabischen Ländern für den jährlichen UN-Entwicklungsbericht kam vor ein paar Jahren zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der Befragten politische und wirtschaftliche Korruption als das größte Übel in ihren Ländern empfinden. Geradezu komödienhaft wird es dann, wenn arabische Justizminister bei ihren Treffen in der Arabischen Liga regelmäßig geloben, die Korruption bekämpfen zu wollen. „Das ist ungefähr so, wie gegen die freie Marktwirtschaft in Amerika oder gegen den Katholizismus im Vatikan ankämpfen zu wollen“, meint die überregionale arabische Tageszeitung Al-Hayat dazu. „Unter den gegenwärtigen arabischen Umständen ist es unmöglich, die Korruption zu bekämpfen oder gar zu eliminieren, denn sie stellt das Fundament der Regime dar und dient als wichtigstes Instrument für deren Überleben“, lautet das vernichtende Urteil der Zeitung, die schlussfolgert: „Wenn die Regime tatsächlich die Korruption bekämpfen würden, müsste die gesamte politische Elite zunächst sich selbst vor Gericht stellen, bevor sie im Gefängnis landet.“
Doch die Korruption zieht Kreise, die weit über die politische Elite hinausgehen. Ein Teil des Problems ist die vollkommen unterbezahlte Beamtenschaft, die fast gezwungen ist, durch kleinere Geldgeschenke ihr mageres Gehalt aufzubessern. Darüber gibt es in ägyptischen Zeitungen ganze Karikaturserien. In einer der Zeichnungen ist der Beamte als Skelett gezeichnet, das versucht, sich an Medizinstudenten zu verkaufen.
Auch der arabische Film nimmt das Thema auf, dass selbst hochgebildete staatliche Mitarbeiter abends heimlich einer zweiten Arbeit nachgehen müssen. In dem syrischen Film „Der Bericht“ steigt der syrische Komiker Duraid Laham in ein Taxi und stellt überrascht fest, dass dessen Fahrer morgens als Professor an der Universität Damaskus tätig ist, als das Fahrzeug während des Gespräches ein anderes Taxi rammt. „Weiß du überhaupt, mit wem du sprichst, das ist
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