Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
der Polizeiwache eingereicht wurde, wieder zurückgezogen wird. Ohne Zögern und voller Energie initiiert sie eine Geldsammlung, um die Krankenhausrechnung zu begleichen.
Jemand wie Sana’ ist nicht oft im verarmten Großstadtdschungel Kairos zu finden. Viele soziale Netze aus der Zeit, als die heutigen Viertel noch kleine Dörfer waren, existierten nicht mehr. Der konstante Fluss von Neuankömmlingen aus ganz Ägypten, die sich nicht gegenseitig kennen, hat aus den ehemaligen Dörfern häufig anonyme Viertel werden lassen, in denen die einzige Unterstützung aus den Reihen der eigenen Familie kommt. Sana’ ist eine Ausnahmeerscheinung, das gilt umso mehr angesichts ihres Alters und ihres Geschlechts.
Die Menschen begegnen der nur 35-Jährigen mit Respekt – selbst jene von der harten Sorte. Zu diesen Hartgesottenen gehört die kräftige Hosna. Ihr Körperbau, dem eines amerikanischen Kühlschranks nicht unähnlich, lässt stets angstvolle Bewunderung aufkommen. Jeder, der eine Rechnung offen hat, kann sie kurzerhand anheuern, damit sie es dem Opponenten auf der Straße vor allen Leuten einmal so richtig zeigt. Ihr gelingt es problemlos, an drei verschiedenen Stellen gleichzeitig einen Volksauflauf zu produzieren. „Hosna kann drei Straßen gleichzeitig sperren“, sagen die Leute dazu. Noch immer macht die Geschichte die Runde, als vor Monaten ein junger Mann versuchte, mit ihr zu konkurrieren. Hosna schlitzte sein Bein auf, das anschließend mit nicht weniger als 14 Stichen wieder zusammengeflickt werden musste.
Damals gerieten die Dinge etwas außer Kontrolle und Sana’ musste eingreifen, um Hosna vor einem Leben hinter Gittern zu bewahren. Seitdem geht die Schlägerin zwar immer noch ihren Geschäften nach, aber aus den größeren Geschichten hat sie sich in den letzten zwei Jahren herausgehalten. Stattdessen wurde sie zum regelmäßigen Gast in der Schneiderei, bei Sana’, der Bewährungshelferin.
„Ich bin in diese Position hineingewachsen, weil die Leute mit meinen Urteilen und Entscheidungen zufrieden waren“, erklärt sie. Nicht nur ihre sieben Geschwister schwärmen, auch ihre Nachbarschaft spricht von ihren „Ain Al-Qubul“ – ihren Augen, die man einfach akzeptieren muss – oder anders gesagt, von ihrer Überzeugungskraft. Aber ihre „magischen“ Augen und ihre unerschöpfliche Energie dürften nicht die einzigen Gründe sein, warum sich die Nachbarschaft ihr zuwendet. Es liegt wohl auch an ihrer Unabhängigkeit: Seit zehn Jahren geschieden und ohne Kinder, hat sie es im Vergleich zu ihrer Umgebung zu bescheidenem Wohlstand gebracht.
Während ihr Großvater sich noch als Lastenschiffer auf dem Nil verdingte, kam ihr Vater aus dem südägyptischen Assiut in die Hauptstadt und zog dort ein einfaches Bauunternehmen auf. Seinen Gewinn investierte er in kleine Stücke billigen Bodens in der damals ländlichen Umgebung Kairos, als der Quadratmeterpreis nicht über ein paar Groschen hinausging. Das dreistöckige Haus, das heute Sana’s Schneiderei beherbergt, gehört zum Familienbesitz.
Sana’s erstes eigenes Projekt lief ganz passabel. Sie eröffnete ein Reisebüro, das sich auf Fahrten für Arbeitsemigranten in die reichen Golfstaaten spezialisiert hatte. Mit dem Beginn ihrer Ehe gab sie das kleine Geschäft allerdings auf und kaufte sich von dem Erlös ein paar Parzellen Land. Sana’ kam kaum über die Flitterwochen hinaus. Bereits nach einem Jahr reichte das Paar die Scheidung ein. Sana’ eröffnete ihre Schneiderei. Das war vor zehn Jahren. Inzwischen hält sie die Fäden verschiedenster kleinerer Geschäfte in der Hand.
Oft sind es nicht Streitigkeiten zwischen den Nachbarn, die es zu lösen gilt. Die Zuverlässigkeit staatlicher Dienstleistungen wie Wasserzufuhr, Abwasserentsorgung oder die Müllabfuhr sind in den „illegalen“ Vierteln wie Al-Waraaq bis heute noch eines der Hauptprobleme. Sana’ organisiert kleinere Kampagnen, in denen sich die Nachbarschaft etwa über eine geplatzte Abwasserleitung oder die sporadisch vorbeigeschickte Müllabfuhr bei offiziellen Stellen beschwert. „Es ist ja bekannt, wo solche Beschwerden zunächst enden. Zuerst im Papierkorb und dann in der Schublade. Also will Derartiges gut organisiert sein“, beschreibt sie ihr Beharrlichkeits-Rezept. Sicher ist auch, dass ihre guten familiären Kontakte zu den lokalen staatlichen Autoritäten gelegentlich die Dinge beschleunigen.
Ihre besondere Aufmerksamkeit schenkt Sana’ den Mädchen und jungen
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