Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Frauen in ihrem Viertel. Sie gehören zu den Stammgästen in ihrer Schneiderei. „Ich habe um die dreißig Kinder, wenngleich nicht meine leiblichen“, witzelt sie und deutet auf mehrere Frauen, die schon den ganzen Nachmittag einen Großteil der Szene in der Schneiderei beherrschen. Manchmal finanziert Sana’ die Ausbildung der jungen Frauen oder hilft ihnen, eine billige Wohnung zu finden, um heiraten zu können. Kein einfaches Unterfangen in Kairo, wo die immerwährende Wohnungsnot zu astronomischen Immobilienpreisen geführt hat. In einem Fall streckte Sana’ die Kaution vor und kaufte eine Schlafzimmergarnitur für ein junges, heiratswilliges Paar. „Sie sind immer noch glücklich verheiratet“, lächelt die Kupplerin Sana’.
Aber ihre Position als „Sitt Al-Kull“, als „Frau für alles“, wurde nicht immer von allen Seiten anerkannt. Den Islamisten vor Ort, wie etwa den „Gama’at Al-Islamiya“, den radikalen „Islamischen Gruppen“, war eine Frau wie sie von Anfang an suspekt. Es war schwer, aus dieser Frau schlau zu werden, die „züchtig“ mit einem Kopftuch gekleidet die Straße hinunterschreitet, aber in ihrem Büro – Gott vergebe – vor allen Augen blasphemisch die den Männern vorbehaltene Wasserpfeife schmaucht. „Ich hatte mit ihnen einige religiöse Diskussionen, in denen ich beweisen konnte, dass ich von Religion genauso viel verstehe wie sie“, erinnert sich Sana’. Und was das orientalische Rauchgerät angeht: „Ich bin nicht ihnen, sondern Gott gegenüber Rechenschaft schuldig.“ Man scheint in gegenseitigem Respekt auseinander gegangen zu sein.
Sana’ beschreibt sich selbst als tief gläubig, doch mit dem sich verbreitenden religiösen Konservativismus kann sie wenig anfangen. „Wenn ich in Alexandria am Strand bin, gehe ich im Badeanzug ins Wasser, wenn ich hier über die Straße gehe, trage ich alles verdeckende Kleider, gerade wie es mir gefällt.“ Ihr Glaube scheint eine Mischung aus Volksislam und einer guten Portion Schicksalsgläubigkeit zu sein. „Dein Herz ist voller Traurigkeit“, analysiert sie den Kaffeesatz einer Besucherin tiefsinnig. Manchmal legt sie auch Karten oder präsentiert ihr fundiertes Wissen über Sternzeichen. Ihre Religiosität bleibt wichtigstes Motiv für ihre Sozialarbeit. Aktivitäten, die, so glaubt sie, „eines Tages von Gott belohnt werden“.
Und wie steht es heute mit Männern in ihrem Leben? Sie winkt ab, als wolle sie diesen Gedanken schnell wegwischen. „Ich habe keine Zeit für Romantik. Ich habe Wichtigeres zu tun“, gibt sie preis. Überhaupt – Sana’ lacht: „Die meisten von ihnen können mir ohnehin nicht das Wasser reichen.“
Die Bäuerin Amal:
Trotz Vogelgrippe heimlich Hühner unterm Bett
7000 Jahre Erfahrung haben die Ägypter gelehrt, den Autoritäten grundsätzlich zu misstrauen. Der Umgang mit der Vogelgrippe bildet da keine Ausnahme. Noch bevor das Virus im Land am Nil erstmals auftauchte, machte eine Karikatur die Runde: Zwei lebende Hühner stehen vor einem Haufen toter Artgenossen. „Vogelgrippe?“, fragt das eine Federvieh. „Nein, nein“, entgegnet das andere, „ein geistig gestörtes Küken hat zuerst seine Familie und dann sich selbst umgebracht. Kein Grund zur Aufregung.“ Eine Anspielung auf Anschläge, bei denen die Polizei anfangs behauptete, die Täter seien nicht militante Islamisten, sondern geistig gestörte Einzeltäter.
Inzwischen hält Ägypten den Rekord als das Land außerhalb Asiens mit den meisten registrierten Todesfällen in Folge des Virus. Es ist die Mischung aus Armut und überforderten Behörden, die verhindert, dass die Lage unter Kontrolle gebracht werden kann. „Solange das Haus brennt, ist es schwer, den Schaden einzuschätzen“, sagt Talib Murad Ali von der FAO, der UN-Behörde für Ernährung und Landwirtschaft.
Sicher ist: Alle bisherigen Opfer lebten in armen ländlichen Gebieten. Etwa im Dorf Nawa im Nildelta, aus dem die 30-jährige Amal stammte, die erste Tote. Im Krankenhaus stritt sie Kontakt mit Geflügel ab. So stellten die Ärzte eine falsche Diagnose. Erst auf dem Sterbebett gab Amal zu, dass sie ihre Hühner heimlich unterm Bett hielt. Sie hatte Angst vor den gut 1000 Euro Strafe, die bei illegaler Hühnerhaltung drohen.
„Für viele Arme ist das Halten von Geflügel das einzige Einkommen. Von ihnen zu verlangen, die Hühner, Gänse und Enten aufzugeben, ist, wie wenn man von uns verlangt, unseren Job aufzugeben“, vergleicht Murad Ali.
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