Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
gefragt, wenn ich in Kairo in irgendeiner staubigen Amtsstube ungeduldig darauf wartete, dass mein Fall endlich bearbeitet oder endlich der heiß ersehnte Stempel mit Ägyptens Staatsadler unter mein Dokument gesetzt wird. Denn wenn man einen ägyptischen Beamten braucht, erhält man vom unschuldig dreinschauenden Sachbearbeiter am Nachbarschreibtisch meist die gleiche Standardantwort: „Ma’alesh – sorry, Herr M. weilt gerade beim Gebet. Haben Sie noch ein wenig Geduld?“ Will heißen: Vergiss es für heute – fuut bukra – komm morgen wieder.
Fünfmal am Tag soll sich der gläubige Muslim in Richtung Mekka verneigen, so steht es geschrieben. Das Gebet gilt als heilige Pflicht, wie das Glaubensbekenntnis, die Pilgerfahrt nach Mekka, das Entrichten der Zakatsteuer und das Fasten im Ramadan. Und mit derartigen religiösen Pflichten nehmen es Ägyptens Beamte besonders genau – oder auch nicht? In manchen Ämtern bekommt man schnell den Eindruck, die gesamte Belegschaft befinde sich beim ganztägigen Kollektivgebet. Oder einzelne kleine Verwalter üben sich in ihrer Andacht im Viertelstundentakt. Stets nagt in mir der Verdacht, ich würde Herrn M. auch nicht ausfindig machen, sollte ich in einem Anfall von Verzweiflung tatsächlich auf die Idee kommen, in der amtseigenen Gebetsecke nach ihm zu forschen. Seit pharaonischen Zeiten haben sich in Ägyptens Amtsstuben ganz eigene Methoden des Freizeitausgleichs eingeschlichen. Früher gab man wohl den Besuch des Tempels vor, um einem der ägyptischen Götter zu huldigen, heute wird das System zum unabdinglichen Gang in die Moschee ausgefeilt.
Ja, ja, wir haben es seit je gewusst, dass es mit der ägyptischen Arbeitsmoral nicht immer zum Besten steht. Aber mal Hand aufs Herz: Hat nicht jede Verwaltungsnation ihre eigene Methode der Freizeiterschleichung?
Versuchen Sie mal, selbst unter Berücksichtigung der Zeitverschiebung, von Ägypten aus mittags bei einer deutschen Behörde anzurufen. Diese Woche versuchte ich bei der Honorarabteilung eines öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders am frühen Nachmittag telefonisch eine Auskunft zu erhalten. Bei der ersten Direktnummer meldete sich niemand. Also ließ ich mich über die Zentrale zur Abteilung durchstellen.
Am anderen Ende meldete sich eine vollkommen entgeisterte Stimme. „Wie können Sie es wagen?“, dachte die Dame wohl und brachte nur ein empörtes „Es ist Tischzeit!“ heraus. Ehrfürchtig legte ich auf. Frau E. ist zu Tisch, und ich werde vorläufig nicht erfahren, was mit der letzten Honorarzahlung geschehen ist. Tischzeiten sind in deutschen Dienststellen genauso heilig wie Gebete in ägyptischen Büros. Gottes Gedenken und Essen sind beide in der Bürokratie sakrosankt. Fazit: Was dem ägyptischen Beamten die Moschee, ist dem deutschen Verwaltungsangestellten seine Kantine. „Allahu Akbar – Gott ist groß“ – oder vielleicht doch nur „Mahlzeit“?
Die Macht im Großen …
Telegrafische Beleidigung des Pharao
(Kairo, den 14. März 1999)
Ein unschuldiger Gang ins ägyptische Telegrafenamt kann leicht in der Gefängniszelle enden. Zumindest wenn man, wie im Falle Mahmud Taifurs, ein Telegramm an „Sayed Al-Ra’is“ – „Eure Exzellenz der Präsident“ Hosni Mubarak richtet, und das nicht gerade diplomatischen Inhalts. „Oh Mubarak – die Gerechtigkeit ist unter deiner Herrschaft verschwunden – es gibt keine Sicherheit mehr – sagt nein zu Mubarak“, hieß es in dem Kabel.
Es war das Schicksal seines Vaters, das Mahmud zu einem derartigen, in Ägypten äußerst ungewöhnlichen Telegrammstil an die oberste Obrigkeit getrieben hatte. Sein Vater, ein kleiner Pächter unweit der Nildelta-Stadt Damanhur im Norden Ägyptens, war von dem Landbesitzer ohne weitere Angaben von seinem Boden vertrieben worden. Der Vater setzte sich zur Wehr und schickte mehrere Protesttelegramme an örtliche Offizielle. Diese blieben allerdings allesamt unbeantwortet. „Lediglich die falsche Adresse“, dachte sein Sohn und nahm die Angelegenheit selbst in die Hand.
Doch das fatale Kabel an den Präsidenten fand erst gar nicht den Weg in die Hauptstadt Kairo. Ein pflichtversessener Telegrafenbeamter nahm stattdessen den Telefonhörer zur Hand und meldete der örtlichen Polizei den ungeheuerlichen Inhalt der Depesche. Die lokalen Sicherheitskräfte handelten unverzüglich und holten Mahmud ohne jeglichen Haftbefehl in die Polizeistation. Zunächst sollte er dort vier Tage verbringen, bis die
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