Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Kairo die Stunde der Armen: Dann versammeln sich die Habenichtse der Stadt vor einer der zahlreichen Moscheen zum Essenfassen. Damit sich die unteren Millionen wenigstens einen Monat lang von anderen Nahrungsmitteln als braunen Bohnen, Zwiebeln und Brot ernähren können, haben viele islamische Bethäuser eine Armenspeisung eingerichtet. Jedes Jahr lässt sich so an den Tischreihen, die dort auf offener Straße unter freiem Himmel aufgebaut werden, die wachsende Verarmung der Stadt atmosphärisch messen.
In den letzten Jahren haben die von den Moscheen eingerichteten „Tische der Gnade“ allerdings Konkurrenz bekommen. Zu einer Mahlzeit bitten nun immer mehr reiche Geschäftsleute, Politiker, Schauspieler und andere wohl situierte Bürger des Landes. Bisher zum Vorteil der Konsumenten, wetteifern die prominenten Reichen des Landes um die Anzahl der abzuspeisenden Armen. Den Rekord hält eine Gruppe von Geschäftsleuten, die an ihrem Tisch direkt vor dem Kairoer Schützenklub täglich 1500 Esser versorgt.
Der Drang der High Society, im heiligen Monat Gutes zu tun, lässt diese mitunter zu ungewöhnlicher Form auflaufen. Ungeahnte Dienstleistungen werden den Mittellosen zuteil. So hat sich dieses Jahr sogar eine Art Lieferservice für jene Schwachen und Alten eingebürgert, die es nicht aus eigener Kraft bis zur nächsten öffentlichen Gnadentafel schaffen. Schätzungen gehen davon aus, dass inzwischen bis zu 10 000 dieser gütigen Tische landesweit pro Ramadan bis zu sechs Millionen Menschen speisen.
Das Ganze würde zum Wohle aller gereichen. Das Gewissen der Reichen wäre ebenso befriedigt wie die Mägen der Armen – wären da nicht einige konservative Scheichs, denen nicht alle Tafeln genehm beziehungsweise bestimmte Gönner ein Dorn im Auge sind. Im Kern der Überlegungen stand diese Frage: Darf man das von einer Bauchtänzerin gestiftete Essen unbedenklich zu sich nehmen? Der Präsident der Al-Azhar-Universität, Omar Haschem, hat jetzt dazu ein klares Nein geäußert. Muslime sollten das Essen, das ihnen von Bauchtänzerinnen gestiftet wird, ablehnen, ließ der Chef der Islamischen Universität verlauten. Auch die Kost jener, die durch Zinsgeschäfte und Drogenhandel reich geworden sind, müsse in Zukunft verschmäht werden.
Welche Tragik für die Armen, zählt doch gerade der Tisch der bekanntesten ägyptischen Bauchtänzerin, Fifi Abdou, zu den reichhaltigsten. Die 45-Jährige hat sich in den letzten Jahren nicht nur durch ihre akrobatische Bauchgymnastik, sondern auch durch einen hochqualitativen „Gnadentisch“ einen guten Namen gemacht. Bis zu einem Viertel eines Lehrergehaltes soll sie pro Mahlzeit mitunter aufbringen.
Mit der Ächtung der freiwilligen Gaben an die Armen könnten in Zukunft vielleicht auch die offiziellen Abgaben an den Staat in Verruf geraten, falls die Scheichs in Zukunft die Steuern der Bauchtänzerinnen als „haram“ – islamisch: tabu – erklären. Nach einem Bericht des arabischen Magazins Al-Wasat zahlen die zwölf Top-Bauchtänzerinnen des Landes jährlich 400 Millionen Pfund an den ägyptischen Fiskus. Damit steht ihre von den Scheichs angegriffene Branche an sechster Stelle der steuerzahlenden Berufszweige. Das und der Hunger der Armen dürften garantieren, dass die konservativen Scheichs mit der Tabuisierung von Bauchtanzeinkünften wohl diesmal den Kürzeren ziehen werden.
Viagra-Datteln zum Ramadan
(Kairo, Ramadan 2002)
Als der alte nubische Pförtner Mukhtar gerade noch zwei Zähne übrig hatte, bekam er ein neues, strahlend weißes Gebiss. Doch gestern Morgen grinste er die Bewohner seines Kairoer Gebäudes wieder mit dem eingefallenen und leeren Mund an. „Ramadan Karim“ und „Kul Sana wa inta Tayyeb“ – „Der Ramadan ist großzügig und es soll dir das ganze Jahr über gut gehen“, murmelt er die Begrüßungsformel des Ramadan. Seine neuen künstlichen Zähne, sagt er, habe er herausgenommen. Schließlich brauche er sie beim Fasten bis zur Abenddämmerung nicht.
Ganz Kairo hat sich schon seit Tagen auf die bevorstehenden Festlichkeiten vorbereitet. Die Verkehrspolizei hat einen besonderen Krisenstab für die berüchtigten Ramadan-Verkehrsstaus eingerichtet. Die größte private Mobilnetzfirma hat in allen Zeitungen große Anzeigen geschaltet, dass ihre Mitarbeiter während des heiligen Monats nur von 10.30 bis 14.30 Uhr zur Verfügung stehen. Ramadan Karim – der Ramadan ist großzügig.
In den engen Gassen leuchten von Kindern aufgehängte
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