Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Ramadan-Laternen in allen Formen und Farben. Besonderer Hit dieses Jahr ist die tanzende Laterne, die im Takt der neuesten ägyptischen Schlager mitschwingt. Die Läden sind voll mit Nüssen und getrockneten Früchten. Überall riecht es nach frischem, speziellem Ramadan-Gebäck, für die Zeit, wenn bei Sonnenuntergang das Iftar, also das Fastenbrechen, ansteht.
Doch die Stimmung in der ägyptischen 18-Millionen-Stadt ist dieses Jahr ein wenig gedrückt. Nicht etwa, weil möglicherweise ein Krieg im Irak vor der Tür steht. Bagdad ist weit, der eigene grummelnde Magen meldet sich dagegen unmittelbar. Das Gedeck der Iftar-Tische in der Abenddämmerung wird dieses Mal wohl ein wenig magerer als sonst ausfallen. Der Grund: Die Preise für allerlei Zutaten zum Ramadan-Essen haben in Ägypten enorm angezogen. „Selbst Zucker können wir uns nicht mehr in großen Mengen leisten“, beklagt sich eine Kairoer Hausfrau. Zusammen mit Mehl ist der Preis für Zucker im Schnitt zum Vorjahr um 10 bis 15 Prozent gestiegen. Das Hauptproblem ist allerdings das Yameesch, die Mischung getrockneter Früchte – für jeden Ramadan unabdingbar –, hatte doch schon der Prophet Muhammad sein Fasten mit diesen Früchten gebrochen.
Seien es getrocknete Aprikosen, Pflaumen oder Rosinen – bis zu 300 Prozent mehr kosten diese Produkte im Vergleich zum Vorjahr. Es dem Propheten nachzutun, ist zum Luxus geworden. Der Grund: All diese Früchte sind importiert, und das Pfund, die ägyptische Währung, ist immer weniger wert. Wohlweislich haben die Yameesch-Importeure ihre Einfuhren dieses Jahr fast um die Hälfte eingeschränkt.
Die Verzweiflung kennt in manchen Fällen keine Grenzen. Die Feuerwehr wurde diese Woche zu einem Wohnungsbrand gerufen, um nach dem Löschen des Feuers festzustellen, dass der Brand von der Mieterin selbst gelegt worden war. Die Hausfrau wollte damit dagegen protestieren, dass ihr Ehemann dieses Jahr kein Yameesch nach Hause gebracht hatte. Geschätzter Schaden: ca. 6000 Euro oder umgerechnet zwei Tonnen getrocknete Aprikosen.
Unterdessen versuchen die Händler auf dem Dattelmarkt unter einer der Nilbrücken der Stadt mit lautem Rufen ein paar Käufer zu finden. Jedes Jahr wechseln die Namen ihrer Produkte. Dieses Jahr läuft die teuerste Sorte unter dem Markennamen „Viagra-Dattel“. Gleich danach rangiert „Leila Alawi“ auf Rang zwei, benannt nach einer bekannten drallen ägyptischen Schauspielerin, die auch als Sex-Symbol angesehen wird. Gleich daneben findet sich der schrumpelige Ausschuss als „Bush“ oder „Scharon“ im Angebot.
Ein Kilo Viagra-Datteln kostet allerdings gut zehn Prozent eines durchschnittlichen Monatsgehaltes. Der nubische Pförtner Mukhtar wird sich also mit seinem neuen Gebiss höchstwahrscheinlich mit einem trockenen US-Präsidenten oder israelischen Premierminister abmühen müssen. Es sei denn, einen der reicheren Hausbewohner packt die Gnade des Ramadan und er bringt Mukhtar doch ein paar saftige braune Viagras mit.
Spüli-Laternen erhellen die drei Phasen der Fastenzeit
(Kairo, Ramadan 2006)
Fast drei Viertel des islamischen Fastenmonats sind um. Der Ramadan sollte eigentlich ein besinnlicher Monat sein, ähnlich der Weihnachtszeit. Aber im Morgen- wie im Abendland sind es doch menschliche Kreaturen, die die göttliche Bestimmung der spirituellen Zeit auf ihre eigene Art auslegen. Hier wie dort steht die Werbewirtschaft an vorderster heiliger Front. Höhepunkt in Kairo ist dieses Jahr die Pril-Flasche in Form einer Ramadanlaterne, zu haben im Sechserpack, damit es auch den ganzen Monat reicht.
Der Ramadan durchläuft drei sehr verschiedene Phasen, berichten Buchhändler einem Journalisten, der wissen will, welche Literatur gut geht: In der spirituellen Phase der ersten Woche, der Zeit des Gebets und des In-sich-Gehens, werden religiöse Werke verschlungen. In der zweiwöchigen Phase des leiblichen Wohls sind die Bestseller Kochbücher, die Inspirationen für orientalische Köstlichkeiten zum abendlichen Fastenbrechen liefern. In der dritten Phase der Panik wird die Rechnung präsentiert. Gefragt sind Bücher mit spartanischen Diäten, die dem Übergewicht zu Leibe rücken sollen. Rein statistisch konsumieren die Ägypter im Fastenmonat fast doppelt so viel wie in den restlichen Monaten des Jahres. Nach dem Motto: tagsüber nichts, aber abends eine reich gedeckte Tafel.
Die islamischen Rechtsgelehrten wenden sich ihrerseits den für die Fastenzeit relevanteren Fragen zu.
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