Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Etwa der folgenden Fatwa-Diskussion: Gehört nebst Essen, Trinken und Sex auch das Rauchen zu den Dingen, die von Sonnenauf- bis -untergang tabu sind? Millionen schlecht gelaunter, enthaltsamer muslimischer Raucher würden einiges drum geben, wenn der blaue Dunst in Zukunft nicht mehr ins Fastenprogramm einbezogen würde. Ausgerechnet Gamal Al-Banna, Neffe des Gründers der Muslimbrüder, warf in den Medien diese heikle Frage auf. Zwar heiße es im ägyptischen Dialekt nicht „man raucht eine Zigarette“, sondern „man trinkt eine Zigarette“, doch das allein könne nicht für ein Rauchverbot ausreichen. Es gebe keinen heiligen Text, der das Rauchen explizit untersage. Kein Wunder: Zu Zeiten des Propheten vor fast 1400 Jahren gab es zwar Kamele, aber noch nicht in Zigarettenpäckchen. Der Rauch sei nur heiße Luft mit Zusätzen, meint Al-Banna, und wenn die Gläubigen Staub einatmen oder versehentlich eine Fliege verschluckten, hätten sie damit sicher nicht ihr Fasten gebrochen. Zudem seien sich die Rechtsgelehrten einig, dass Gerüche, die das Hirn erreichen, auch im Ramadan nichts Verderbliches seien. Und was sei das Rauchen schließlich anderes?
Natürlich blieb diese gewagte Interpretation nicht unwidersprochen. Das Rauchen sei eindeutig ein Verlangen und müsse daher beim Fasten unterbunden werden, hält Ahmed Taha Rayan, Ex-Dekan der islamischen Al-Azhar-Universität, rigoros dagegen. Nebenbei bemerkt dürfen die Fatwa-Kontrahenten davon freigesprochen werden, im Eigeninteresse zu debattieren. Der Verteidiger der heißen Luft, Al-Banna, ist Nichtraucher, während Ex-Dekan Rayan als Kettenraucher weiß, wovon er spricht, wenn er dem zügellosen Verlangen zumindest bei Tageslicht Einhalt gebieten will.
Tagsüber fasten, abends fernsehen
(Kairo, Ramadan 2007)
Es ist eine Vergewaltigungsszene, die im diesjährigen Ramadan in der arabischen Welt für Gesprächsstoff sorgt. In der Ramadan-Fernsehserie „Qadiyat Ra’i A’am – eine öffentliche Angelegenheit – es geht alle an“ wird die Universitätsprofessorin Abla Abdel Rahman, die mit zwei Frauen auf dem Weg von der Arbeit nach Hause ist, entführt und vergewaltigt. Gespielt von der ägyptischen Filmdiva Yousra, ist Abla Abdel Rahman die einzige der drei Frauen, die das Verbrechen anzeigt. Die weiteren Folgen beschäftigen sich damit, wie die Vergewaltigungsopfer auf eine Mauer aus Scham stoßen. Von ihren Familien bis hin zu den Behörden, die den Fall aufklären sollen, werden sie wie Aussätzige behandelt.
Im Ramadan wird nicht nur gefastet, es ist auch der Monat, in dem die gesamte arabische Welt vor dem Fernseher sitzt. Tagsüber macht es das Fasten leichter, nachts wird vor der Mattscheibe verdaut. Jedes Jahr wetteifern aufwändige, eigens für den Ramadan produzierte und täglich ausgestrahlte „Musalsalat“, arabische Telenovelas, um die Gunst der Zuschauer. Filmemacher und Fernsehstationen wissen, dass sie diesen Kampf nur für sich entscheiden können, wenn sie gesellschaftlich und politisch kontroverse „heiße Eisen“ aufgreifen. Über fünfzig Serien loten in diesem Ramadan die gesellschaftlichen und politischen Grenzen aus. Ob Vergewaltigung, Terror und Islam, politische Satiren oder so sensible Themen wie die Vererbung der Herrschermacht vom Vater zum Sohn – die Serien machen vor keinem gesellschaftlichen und politischen Tabu Halt.
Das löst Kontroversen aus, die nicht nur vor und nach jeder Folge in den Medien ausgetragen, sondern zum Teil noch Monate nach Ende des Ramadan und der Ausstrahlung der letzten Folge diskutiert werden. Und auch im Falle der realistisch nachgestellten Vergewaltigungsszene, bei der sich die Schauspielerin Yousra laut Medienberichten tatsächlich verletzt haben soll, blieb die Reaktion nicht aus. In der Presse wird darüber debattiert, ob eine gewalttätige Sexszene dem spirituellen Geist des Ramadan entspricht. „Die Vergewaltigungsszene ruiniert den Ruf Ägyptens und vertreibt Touristen“, lautet der Einwand von Ahlam Hanafi, Mitglied des halbstaatlichen ägyptischen „Rates für Kinder- und Frauenrechte“. Es sei natürlich, dass die Zuschauer von dem Thema aufgewühlt seien, entgegnet der ägyptische Filmkritiker Tarek El-Schenawy. „Aber auch das amerikanische Kino greift schließlich immer wieder Themen wie Korruption, Drogenmissbrauch und Vergewaltigung auf, ohne dem Tourismus oder dem Image der USA zu schaden“, kontert er.
„Bisher begegnet die arabische Gesellschaft dem Verbrechen
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