Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
Kurs, oder besser gesagt politische Satiren. „Anba Al-Watan– Nachrichten aus der Heimat“ lautet der Titel von Iraks beliebtester Serie. Die Hauptperson ist der Präsident eines nicht namentlich genannten arabischen Landes, das dem Irak so ähnelt wie der Held dem irakischen Präsidenten Dschalal Talabani. Der Staatschef, bewacht von kokettierenden weiblichen Bodyguards, erlässt ein blödsinniges Dekret nach dem anderen, etwa die Order, dass die Iraker nun Visa benötigen, um ihre Angehörigen ein paar Häuser weiter zu besuchen. Das ist der Realität näher, als es zunächst aussieht. Tatsächlich werden neuerdings schiitische und sunnitische Viertel in Bagdad aus Sicherheitsgründen mit hohen Betonwällen getrennt. Alle, ob Sunniten, Schiiten oder Kurden, bekommen in der Serie gleichermaßen ihr Fett ab. Übrigens wurde der ausstrahlende Sender Al-Scharkija bereits letzten Januar im Irak verboten, nicht zuletzt wegen seines respektlosen Umgangs mit irakischen Autoritäten. Er sendet seitdem per Satellit aus Dubai. Das staatliche irakische Fernsehen hingegen meidet Unterhaltung und besinnt sich auf die eigentlichen Grundsätze des Ramadan. Im Programm: ein tägliches Interview mit einem Arzt über gesundheitliche Vorzüge des Fastens.
Islamische Sinndeutungen
Die Zerreißprobe:
Westlicher Minirock oder züchtiger Abaya-Umhang
Das Stadtbild Kairos hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Immer weniger sieht man Frauen, die ihr Haar auf der Straße offen tragen, immer häufiger die verschiedenen Formen von Kopftüchern. Selbst die extremste Form der Verhüllung, der Niqab, der Gesicht-Vollschleier, ist immer öfter zu sehen. Früher verbargen fast ausschließlich Frauen in Saudi-Arabien und am Golf ihr Antlitz so radikal. Inzwischen hat die Wüstenkultur der erzkonservativen saudischen Wahabiten auch die weltoffenen urbanen Zentren der arabischen Welt erreicht. Dank Petrodollars, Hunderttausender aus den Golfstaaten zurückgekehrter ägyptischer Arbeiter und Religionstourismus zu den heiligen Stätten in Mekka und Medina: Die westliche Kulturdominanz hat mit der Öl- und Wahabiten-Kultur einen ernsthaften Konkurrenten bekommen. Das führt in den arabischen Gesellschaften zu einer bisher noch nie da gewesenen Zerrissenheit. Die Ägypterinnen müssen sich heute zwischen zwei gegenläufigen dominanten kulturellen Einflüssen entscheiden: dem westlichen Minirock oder der züchtigen saudischen Abaya. Das Zurschaustellen von religiösen Symbolen wird als Rückbesinnung auf die eigenen Werte empfunden. Es gibt auch immer mehr Männer mit Prophetenbart und dreiviertellangen Hosen nach Art Muhammads. Die Zabibas, jene braunen Flecken auf der Stirn, entstanden durch vielfaches Pressen der Stirn auf den Gebetsteppich, werden größer. Das Bedürfnis, öffentlich Zeugnis von der eigenen Frömmigkeit abzulegen, kennt kaum Grenzen
Das gilt auch für meine eigene ägyptische Familie. Meine Tanten sind bis heute ohne Kopftuch und säkular geblieben und erinnern sich an die Zeiten, als sie in den 60er Jahren mit Miniröcken und tiefen Ausschnitten in Alexandria auf Partys gingen, während sich die Onkels gerne den einen oder anderen Whisky, Marke Black Label, genehmigten. In der nächsten Generation hat eine kleine islamische Familienrevolution stattgefunden. Die Hälfte meiner Cousinen trägt ein Kopftuch, eine weigert sich gar, mir vor lauter islamischer Keuschheit die Hand zu schütteln. Einer meiner Cousins pflegt in allen Lebenslagen einen Scheich um Rat zu fragen, wie er sich islamisch-korrekt verhält. Die Eltern dieser geläuterten Kinder haben dem wenig entgegenzusetzen. Meine Tanten, von denen auch später noch einmal die Rede sein wird, haben Angst, von ihren Söhnen und Töchtern als unislamisch gebrandmarkt zu werden.
Die arabische Zerreißprobe hat viele Gesichter. Da brechen westlicher Konsum, Mega-Shopping-Malls, weltweites Satellitenfernsehen und eigene arabische MTV-Stationen mit leicht bekleideten Sängerinnen über jene herein, die meist mit leeren Taschen vor den Schaufenstern stehen und nicht genug Geld zusammenbringen, um endlich heiraten zu können. Und neben der kulturellen herrscht eine politische und militärische westliche Dominanz, der man glaubt wenig entgegensetzen zu können – außer der eigenen Religion. Wenigstens moralisch will man der bessere Mensch sein. Nach dem Motto: Der Westen hat alles, Technologie, Wissenschaft und stärkere Armeen, wir aber haben Gott und seinen
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