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Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Titel: Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim El-Gawhary
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Propheten.
    Derweil ist es alles andere als einfach, die eigene spirituelle Identität zu finden und tatsächlich zu leben. Also greifen viele zum „Instant-Islam“ – einmal umrühren und fertig. Äußerlichkeiten werden zum Zentrum der eignen Religiosität. Ich beginne ein Kopftuch zu tragen, also bin ich mit einem Handgriff eine gute Muslima. Der Prophetenbart macht mich zwar nicht über Nacht, aber binnen weniger Haarwuchswochen zum guten Muslim. So werden schnell ein Zugehörigkeitsgefühl und eine Identität geschaffen, mit denen es einfacher scheint, der ungerechten Welt entgegenzutreten.
    Komplizierter wird es da schon in der Politik. Islamisten, die Staat und Religion nicht voneinander trennen wollen, gibt es schon seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, als die ägyptischen Muslimbrüder mit ihrem Slogan „Islam ist die Lösung“ antraten. Doch ihre große Stunde schlug erst nach der arabischen Niederlage im 67er-Krieg. In nur sechs Tagen hatte die israelische Armee jedes Gefühl arabischer Größe zerstört. Statt im arabischen Nationalismus suchten viele im Islam ihr neues politisches Heil. Aber wie ein idealer islamischer Staat eigentlich auszusehen hat, ist ein weites Feld für Interpretationen. Nach der Machtübernahme Imam Khomeinis und der Gründung der Islamischen Republik 1979 entspannte sich im iranischen Parlament mit ausschließlich islamischen Parteien eine Debatte über die Landreform. Der marktorientierte Flügel im Parlament argumentierte, dass im Koran und in der Überlieferung des Propheten Privateigentum eindeutig abgesegnet sei. Der eher „linke“ Flügel setzte dem entgegen, dass alles Land im Besitz Gottes sei und dass die Umma, die islamische Gemeinde – sprich der islamische Staat – den Vertreter Gottes auf Erden darstelle. Ergo: Das Land sollte verstaatlicht werden. Mit dem Referenzsystem Islam lassen sich also politisch so ziemlich alle Positionen durchargumentieren und rechtfertigen.
    Das ist ein ähnlich wildes Gemisch wie in Europa, wo unter dem Oberbegriff „Der Islam ist schuld“ völlig unterschiedliche Probleme debattiert werden. Sei es die Frage von Migration und Integration, Sicherheit und Terrorismus, Ehrenmorden oder Frauenbeschneidung, stets wird im Islam der Grund des Übels gesehen. Westliche Islamhasser und arabische heilige Krieger, der Kulturkampf zwischen Orient und Okzident, findet auf jeder Seite seine Entsprechung.
    Hilfe, meine Tante ist Terroristin
    Meine gutbürgerlichen, zutiefst apolitischen Kairoer Tanten waren für mich stets ein wichtiges arabisches Stimmungsbarometer. Während eine von ihnen zwei Jahre nach den Attentaten vom 11. September gestand, sie bete mehrmals am Tag dafür, dass den US-Präsidenten der Schlag trifft, outete sich die andere mit dem Satz, dass sie sich am liebsten selbst einen Sprengstoffgürtel umschnallen wolle.
    Derweil hatten beide Tanten einen Großteil ihres Lebens damit zugebracht, alles Westliche anzubeten. Sprichwörtlich ist in der Familie ihre Reise nach Amerika in den 90er Jahren, von der die Tanten mit leuchtenden Augen und schwer bepackt auf dem Kairoer Flughafen ankamen. Sie hatten so viel Gepäck vom Shopping im fernen Land zurückgebracht, dass einer meiner Onkel spontan vor dem Flughafen einen Kleinlaster engagierte. Zu Hause angekommen, schwärmten die Tanten vom verlockenden „American Way of Life“.
    Ein anderes Politbarometer: der Dattelmarkt in Kairo. Hier, mitten im Gewühl unter einer Nilbrücke im Norden der Stadt, zwischen Säcken voller brauner Früchte und Scharen eifriger Käufer, werden jedes Jahr im September zum Beginn der Dattelsaison die beliebtesten arabischen Persönlichkeiten auserkoren. Entscheidend ist hierbei die stets wechselnde Namengebung für die braunen Früchte. Kurz nach den Anschlägen des 11. September war der größten, süßlichsten und teuersten Dattelsorte stolz der Name „Bin Laden“ verliehen worden. Das krasse Gegenteil zu jener vertrockneten mickrigen Ausschussware, die damals der weniger kaufkräftigen Kundschaft unter dem Namen „George Bush“ angeboten wurde.
    Fünf Dattelernten später, kurz nach dem Libanonkrieg, trug das am kläglichsten aussehende Früchtchen immer noch den Namen des US-Präsidenten, während sich die Königin der Datteln, erst vor kurzem von den edelsten Palmen im Osten der südägyptischen Stadt Assuan gepflückt, mit dem Namen des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah schmückte.
    Das Ibn-Khaldun-Zentrum des prominenten

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