Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
angegriffen fühlt, in ihrer Religion – so geschehen im dänischen Karikaturenstreit. Nach dem Motto, sie haben uns alles genommen und jetzt greifen sie auch noch unseren Propheten an.
Die Stunde der Kulturkrieger
(Kairo, den 9. Februar 2006)
Meine Nachbarin Umm Rami hat gestern ein Schild an die Eingangspforte unseres Wohnhauses in Kairo gehängt. Es fordert alle Bewohner des Hauses auf, zu fasten und zu beten, „damit Gott uns die Stärke gibt, jene, die unseren Propheten Muhammad beleidigt haben, zu zerstören“. Die gleiche Aufforderung wurde am Abend zuvor per SMS an alle Hausbewohner versendet.
„Was soll man davon halten?“, fragt der Pförtner, ein ehemaliger Bauer aus dem südlichen Oberägypten, von allen liebevoll Onkel Ahmad genannt. Ob er nicht glaube, dass wir andere Probleme hätten als ein paar Karikaturen in einem bislang völlig unbekannten Land namens Dänemark, lautet meine Gegenfrage. Die Hälfte der ägyptischen Jugendlichen hat keine Arbeit. Vor wenigen Tagen wurde die Inkompetenz staatlicher Institutionen erneut unter Beweis gestellt, als bei einem Fährunglück vor der ägyptischen Küste 1000 Menschen ertrunken sind, wahrscheinlich völlig unnötig aufgrund der Fehlentscheidung des Kapitäns und einer gnadenlos verpatzten Rettungsaktion im Roten Meer. Im Nachbarland der israelisch-palästinensische Konflikt und am Horizont ein Bürgerkrieg im Irak. Onkel Ahmad lächelt müde. Vielleicht stimmt er zu. Aber wahrscheinlich empfindet er eher etwas Mitleid, weil sein Gegenüber immer noch nicht die Tragweite der Prophetenbeleidigung verstanden hat.
In meinem Kairoer Büro schlägt dann die andere Seite des Kampfs der Kulturen zu. Das Telefon klingelt: eine Kollegin eines deutschen Rundfunksenders. „Herr Gawhary, können wir mit Ihnen ein Gespräch über die Karikaturen führen?“ Ich stimme zu. „Ach übrigens, sind Sie eigentlich Muslim?“ – Das ist das dritte Mal innerhalb von 48 Stunden, dass Kollegen mich dies fragen. Eine Frage, die in meinen 15 Jahren als Nahost-Korrespondent kein einziges Mal zuvor von dieser Seite gestellt worden war. Bisher gab es diese Schubladenfragen nur in Ägypten: „Bist du Muslim oder Christ?“, lautete die Preisfrage. Eine Frage, die mit der zunehmenden Islamisierung der Gesellschaft mehr und mehr Bedeutung gewonnen hat. Ich denke nur: Mein Gott, jetzt fangen sie auch noch in Europa damit an!
Die Stunde der Kulturkrieger hat allerorten geschlagen. Die Gegenfrage an Onkel Ahmad war falsch: Gerade weil es so viele andere Probleme gibt, sind die Karikaturen zum Hauptproblem geworden. Machtlos stehen die Menschen diesen Problemen gegenüber, ohne Chance, die Entscheidungen jener zu beeinflussen, die die Krisen mehr schlecht als recht für sie verwalten sollen. „Es ist allemal einfacher, gegen irgendetwas von außen zu demonstrieren als gegen das eigene Regime. Gefahrlos können die Menschen dort ihren angestauten Frust loswerden“, meint Hisham Qassem, der Chefredakteur der unabhängigen ägyptischen Tageszeitung Al-Masri Al-Yom. Will heißen, die Lunte für die Karikaturenbombe verlief durch den Irak, Palästina/Israel und durch alle arabischen Länder, mit ihren unfähigen, nicht zeitgemäßen Regimes, die nichts zur Lösung der Probleme beitragen. Das Ganze stets begleitet von dem Gefühl, vom Westen immer untergebuttert zu werden.
In dieser Atmosphäre wird dann plötzlich der Prophet beleidigt, und was dann ausbricht, ist ein regelrechter Wettbewerb, „wer liebt und verteidigt den Propheten mehr“. Umm Rami kann ihren Nachbarn von ihrer Islamfestigkeit überzeugen und zum Protest aufrufen und ihren Frust loswerden, ohne irgendwelche Repressionen vonseiten des eigenen Regimes fürchten zu müssen.
Und die Regime selbst? Sie gehören zu den Hauptverdächtigen in der Karikaturen-Eskalation, meint Chefredakteur Qassem. Als „eine geniale Ablenkung von ihrem eigenen Scheitern“ beschreibt er das. Überhaupt stellen einige wagemutige Journalisten inzwischen unangenehme Fragen. „Warum gab es keine offiziellen Proteste, als israelische Siedler einmal den Propheten als Schwein abgebildet hatten oder als der Koran im von den Amerikanern verwalteten Guantánamo-Gefängnis entweiht wurde“, fragt Ibrahim Eissa in der ägyptischen Zeitung Saut Al-Umma. Das politische Leichtgewicht Dänemark sei für die arabischen Herrschenden keine Gefahr. „Die gleichen Herrschenden verlieren kein Wort, wenn der muslimische Glauben in den USA oder sogar in
Weitere Kostenlose Bücher