Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
ägyptischen Soziologen Saad Eddin Ibrahim kam etwa zur gleichen Zeit auf der etwas wissenschaftlicheren Basis einer Meinungsumfrage zum gleichen Ergebnis. Nasrallah rangierte für die Ägypter als „wichtigster regionaler Politiker“ mit Abstand auf Platz eins – nach dem iranischen Präsidenten Ahmadinedschad, dem Hamas-Chef Khaled Maschaal, Bin Laden und dem Chef der ägyptischen Muslimbrüder Mahdi Akef. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak lag abgeschlagen auf Rang 18.
Eine Auflistung, wohl kaum nach westlichem Geschmack, die auch zeigte, wie sehr die arabische öffentliche Meinung ihre Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Konflikte der Region verloren hat. Wer auf Konfrontationskurs geht, steigt in der Beliebtheitsskala. „Islamistische Organisationen sind aus einem einzigen Grund in diesem Teil der Welt populär geworden, sie leisten Widerstand“, schlussfolgert der liberale ägyptische Kolumnist Salama Ahmad Salama.
Der Weg des Niedergangs des amerikanischen Images hat eine klare Kontur. Er verläuft von Afghanistan über den Irak bis zum Libanon. Abdel Monem Said, vom Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien in Kairo, spricht von den „drei offenen Wunden“, die die vermeintlich übermächtige amerikanische bzw. israelische Kriegsmaschinerie in der Region aufgerissen hat und die sich nicht mehr schließen lassen. Der Fehler war stets der gleiche: Die Machtverhältnisse in der Region sollten militärisch verändert werden. So war es bei den Taliban, bei Saddam Hussein und der Hisbollah – doch in keinem Fall wurde mit militärischen Mitteln eine stabile Neuordnung der Region geschaffen.
Während im Westen der Antiterrorkampf propagiert wird, werden in der arabischen Welt spätestens seit dem Libanon- und Irakkrieg die Erfolge einer asymmetrischen Kriegsführung gefeiert. Jiu-jitsu-Politik wird diese Methode inzwischen auch genannt, nach der asiatischen Kampfsportart, in der die Kraft des Gegners gegen ihn selbst angewandt wird. Die USA bekommen den Irak nicht unter Kontrolle, wenngleich zum Preis der irakischen Selbstzerfleischung. Afghanistan entwickelt sich mehr und mehr zum Albtraum der dort stationierten ausländischen Truppen. „Terror“ und „Widerstand“ und eine Guerillakriegführung verschmelzen aus arabischer Perspektive zu einem Erfolgsrezept, sich nicht alles gefallen lassen zu müssen. Über die Mittel wird in der arabischen Welt nur wenig debattiert: Der Zweck heiligt die Kämpfer.
Dabei ist das arabische Verhältnis zum Westen immer ein ambivalentes geblieben. Ein paar Dutzend Araber sind, ihrer eigenen radikalen Ansicht nach, durch die Selbstmordanschläge des 11. September zu Märtyrern geworden und haben damit vermeintlich den Weg ins himmlische Paradies gefunden. Doch gleichzeitig stehen jeden Tag in den arabischen Hauptstädten Tausende von Arabern Schlange vor den Konsulaten westlicher Staaten, um eines der begehrten Visa als Eintrittskarte ins vermeintlich irdische Paradies zu ergattern. Was könnte die arabischen Widersprüche gegenüber dem Westen mehr verdeutlichen?
Gerne sprechen westliche Politiker von den westlichen Werten, die den radikalen Islamisten ein Dorn im Auge seien. In Wirklichkeit geht es aus arabischer Sicht vielmehr darum, was der Westen oder genauer gesagt die USA der Region antun.
Dazu kommt der arabische Ärger über westliche Parteinahme im angespannten Verhältnis der Araber zu ihren eigenen Herrschern. Keine einzige arabische Regierung ist tatsächlich demokratisch gewählt, kein einziger arabischer Herrscher kann ernsthaft zur Rechenschaft gezogen und abgewählt werden. Ein arabischer Bürger oder Untertan hat bei den großen Entscheidungsprozessen, die sein Land betreffen, nichts mitzubestimmen. Ganz anders als die US-Regierung, mit deren Willen und Einverständnis so manches arabische Regime steht und fällt. Und immer ist der Deal der gleiche: Das arabische Regime sorgt wahlweise für billiges Öl, dezente Beziehungen zu Israel und Stabilität, der Westen sichert im Gegenzug das Überleben des Regimes.
Es sind also konkrete politische Erfahrungen, die zum arabischen Zwiespalt gegenüber dem Westen führen. Es ist das Gefühl, immer auf der Verliererseite zu stehen, sei es im Palästinakonflikt, im Irak oder im Libanon. Wenn es einen kollektiven arabischen Gemütszustand gibt, dann den, stets den Kürzeren zu ziehen. Die Lage explodiert immer zuverlässig dann, wenn sich die arabische Seite im neu gefundenen Kern ihrer Identität
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