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Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)

Titel: Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim El-Gawhary
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meist geblieben. Kifah ist eine von Bagdads Frauen, die sich nicht einschüchtern lassen will. Dabei hat sie ihr ganz eigenes Widerstandkonzept: „Wenn ich diesen ganzen Wahnsinn um mich herum nicht stoppen kann“, sagt sie, „dann möchte ich wenigstens gut aussehen.“

Medienrummel
    Irak: Der langsame journalistische Tod
    Arbeiten im Irak, das glich stets einer journalistischen Achterbahn. Zu Zeiten Saddams war jedem ausländischen Berichterstatter vom berüchtigten Ministerium für Information ein Aufpasser zur Seite gestellt. Dessen Aufgabe war es, jeden Schritt und Tritt zu kontrollieren und am Ende des Tages einen Bericht für den Geheimdienst zu verfassen. Jedes Interview stellte nicht nur den Fragenden auf die Probe, gerade auch der Gesprächspartner stand immer in Gefahr, etwas „Falsches“ zu sagen und sich dabei selbst zu gefährden. Journalisten bekamen deswegen selten eine freie Gedankenäußerung zu hören, sondern meist einen Schwall von verlogenen, regimefreundlichen Hülsen. Es gab aber auch Wege, diese brutale Zensur zu umgehen. Als ich einmal nach getaner Arbeit alleine in Bagdad unterwegs war und ein Taxi anhalten wollte, stoppte ein Privatfahrzeug und bot an, mich zu dem gewünschten Ziel zu fahren. Im Schritttempo fuhren wir daraufhin durch Bagdad, während der unbekannte Fahrer gespenstische Geschichten von seiner verhafteten, gefolterten und am Ende in Saddams Kerkern exekutierten Verwandten erzählte.
    Journalisten wurden vom Informationsministerium nicht nur zensiert, sondern auch kräftig gemolken. Für jeden Tag, den man irakische Luft einatmen durfte, war ein Tribut von 100 bis 150 Dollar als mit offizieller Quittung belegte Aufwandsentschädigung fällig. Damit nicht genug, waren auch noch zahlreiche inoffizielle Geschenke für die einzelnen Beamten abzuliefern, ohne die keine Genehmigungen zu bekommen waren. Denn trotz Aufpasser benötigte man für jedes Interview und vor allem für jede Reise außerhalb Bagdads eine Sondererlaubnis.
    Das alles änderte sich schlagartig mit dem Sturz des Diktators. Es war nicht der Anblick der ersten GIs, die durch die Straßen Bagdads patrouillierten, es waren nicht die gestürzten Saddam-Statuen, es war ein Spaziergang mit einem Kollegen durch das bombardierte und völlig ausgebrannte ehemalige Ministerium für Informationsverhinderung, bei dem ich begriff, dass nun tatsächlich völlig neue Arbeitsbedingungen herrschten. Es brachen goldene Zeiten für Journalisten an, die allerdings nur kurz währten. Plötzlich waren Reisen in das gesamte Land ohne Genehmigung möglich. Es gab keinen Staat mehr und damit auch keine Behörde, die die Bewegungsfreiheit der Journalisten einschränken konnte.
    Auch viele Iraker genossen in diesen Tagen ihre neuen Freiheiten. Hunderttausende Schiiten hatten sich eine Woche nach dem Krieg auf die Pilgerfahrt nach Kerbala gemacht, um den Schrein ihres Imams Hussein in der südirakischen Stadt zu umschreiten. Keiner konnte sie zählen. Nur mit Block und Stift vor dem Schrein stehend, wurde ich dort von Pilgern umringt, die auf mich einredeten. Jeder wollte im neuen Irak seine Geschichte oder seine Meinung loswerden. Erstmals konnte offen mit Ausländern und Journalisten gesprochen werden. Plötzlich drängte eine Frau durch die Männermenge. In der Hand hielt sie ein Poster mit dem Bild ihrer Schwester, die vor 20 Jahren wegen Mitgliedschaft in einer schiitischen Oppositionsgruppe exekutiert worden war. Zum ersten Mal konnte die 42-Jährige Sundus Schaukat aus Bagdad nun der Öffentlichkeit ihre Geschichte erzählen: wie sie mit 20 Jahren verhaftet wurde, mit Elektroschocks, Schlägen, monatelangem Handschellentragen gequält wurde. Sie hatte „lebenslänglich“ bekommen, war dann acht Jahre lang in Saddams Gefängnissen verschwunden und lebte bis vor kurzem unter Hausarrest. Mitten im Erzählen brach ihre Stimme. Sie fuhr fort mit den Schicksalen weiblicher Mitgefangener, die von ihren männlichen Folterern ausgezogen und misshandelt wurden und am Ende für immer verschwanden. Immer wieder sei auch ihr selbst mit Vergewaltigung gedroht worden, erzählte die Frau, deren schwarzer Umhang nur ihr Gesicht frei ließ, über das die Tränen flossen. Über 20 Jahre ihres Lebens habe sie verloren. Ihre Jugend sei weg, sie habe keinen Ehemann und sie werde niemals Kinder haben. Die Wallfahrt und dieses Gespräch sei Teil ihrer Post-Saddam-Therapie, eine Art Heilungsprozess, erklärte sie damals und hörte auf zu weinen. Sie

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