Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
können. Die Bilder des Staatsfernsehens werden dann direkt über Fernsehstationen wie Al-Dschasira in die gesamte arabische Welt weitergeleitet, wie etwa Aufnahmen von den gefangenen US-Soldaten.
Das Ergebnis dieser Berichterstattung von beiden Seiten der Medienfront kann unterschiedlicher nicht sein. CNN zeigt mit „Livekameras“ in Bagdad die saubere Seite des Krieges: Explosionsbilder, die an Spezialeffekte aus Hollywood erinnern, oder im Südirak US-Truppen als fahrende oder auf Distanz kämpfende Einheiten. Dazu erklären pensionierte US-Generäle den vermeintlichen Verlauf des Krieges. Feindliche Positionen werden nicht gesprengt und deren Soldaten nicht getötet, sie werden „ausgeschaltet“.
Dagegen zeigt Al-Dschasira die hässliche Seite des Krieges. Jene Bilder, bei denen der Fernsehzuschauer manchmal wegsehen muss, weil sich der Magen umdreht. Etwa die Bilder aus einem Krankenhaus in Basra, als Dutzende Tote mit verbrannten Genitalien oder zerfetzten Köpfen zu sehen sind. Ein verkohltes Baby wird aufgedeckt. Sie liegen auf dem Korridor des Krankenhauses. Einer der Pfleger versucht, mit einem Lappen ein wenig das Blut zwischen den entstellten Leichen aufzuwischen. Die arabischen Zuschauer schauen weg und wieder hin und fühlen sich machtlos.
Ebenso brutal wie die irakischen Leichen im Krankenhaus zeigt Al-Dschasira eine Gruppe erschossener US-Soldaten im Inneren eines Hauses. Blutüberströmt liegen sie im Raum verteilt. Fliegen umkreisen sie. Ein irakischer Krankenpfleger lächelt, als er einen der toten GIs mit Gummihandschuhen anpackt und für die Kamera zurechtrückt. In einem anderen Raum werden fünf amerikanische Kriegsgefangene vorgeführt. Sie wirken verschreckt und eingeschüchtert, vor allem die einzige Frau unter ihnen, deren Augen voller Angst von einer Seite zur anderen kreisen, während sie mit gebrochener Stimme sagt, welcher Einheit sie angehört und wo sie herkommt.
Beide Seiten, die westlichen und die arabischen Medien, werden letztendlich instrumentalisiert. Die einen versuchen die Schrecken des Krieges im Interesse der US-Kriegspartei durch bunte Computeranimationen zu einem PC-Game herunterzuspielen. Daneben wird deutlich gemacht, wer der Gute ist, etwa wenn US-Militärärzte bei der Operation eines irakischen Kriegsgefangenen gezeigt werden. Al-Dschasira dagegen zeigt Bilder ohne Moral, die beweisen sollen, dass die unbesiegbare US-Armee so unbesiegbar nicht ist. Auch sie haben ihre Wirkung nicht verfehlt, überall in der ansonsten ohnmächtig zusehenden arabischen Welt werden die Emotionen angeheizt.
„Es war widerlich“, kommentierte ein US-General später die in Al-Dschasira ausgestrahlten Bilder im weit entfernten US-Hauptquartier im Golfstaat Katar. Eigentlich wollte er „saubere“ Military Briefings abhalten, in denen die Schrecken des Krieges nicht vorkommen, so wie 1991, als man den Journalisten Luftaufnahmen von bombardierten Zielen präsentierte, wo es hoch oben nur ein wenig rauchte. Damals gab es keine arabischen Fernsehstationen, die ernsthaft mit den westlichen Sendern konkurrieren konnten. Der letzte Golfkrieg war eine rein westliche Medienshow. Dieser Krieg hat medial eine neue Qualität: Mit den nun via Satellit übertragenden Stationen wie Al-Dschasira ist es mit der Version vom präzisen, sauberen Krieg vorbei. Das ist widerlich und abstoßend, aber eben auch nicht anders als der Krieg selbst.
Abu Ghraib:
Globale entwürdigende Botschaft
(Kairo, den 10. Mai 2004)
Öffentliche Nacktheit und Sexualität sind ein Tabu in der prüden islamischen Welt. Daher hätten die Bilder mit den Folterszenen aus Abu Ghraib eine besonders verheerende Auswirkung in den arabischen Ländern. So das Argument, das im Westen die Runde macht. Zitiert wird aus dem Koran und aus dem islamischen Recht, in dem Nacktheit und Scham eine Einheit darstellten. Bei den Männern handelt es sich um den Bereich zwischen Nabel und Knie und bei den Frauen um den ganzen Körper, klären uns im Fernsehen und in Zeitungen Islamwissenschaftler auf.
Gegenfrage: Welche Wirkung hätte ein Foto im christlichen Europa, bei dem ein nackter Europäer an einer Hundeleine von einem Araber durchs Bild gezogen wird? Würde das im sexuell aufgeklärten Europa zu einem geringeren Aufschrei führen? Die Bilder hätten in allen Kulturen den gleichen Effekt, ob sie einem Inuit am Nordpol, einem Buddhisten in Tibet, einem Hinduisten in Indien, einem Juden in Israel oder einem Atheisten in Berlin
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