Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
wirkte befreit, ihre Geschichte losgeworden zu sein, und verschwand wieder in der Menge, in der Hunderte Pilger ähnliche Geschichten zu erzählen hatten.
Gefährlich waren in dieser ersten Zeit nach dem Sturz Saddams nur die jungen, unerfahrenen US-Soldaten. Da passierte es schon einmal, dass man zusammen mit zwei Kollegen in einem Auto an einer amerikanischen Straßensperre angehalten wurde. Ein Soldat hielt von links sein Schnellfeuergewehr ins Fenster und forderte die Insassen auf auszusteigen, während sein Kollege von rechts mit seiner Waffe auf das Auto zielte und befahl sitzen zu bleiben.
Nur einen Kilometer dann schon das nächste Checkpoint-Abenteuer. Die amerikanischen Soldaten, extrem nervös, da wenige Stunden zuvor einer der Ihren in der Nähe erschossen worden war, brüllten eine völlig verschreckte irakische Familie im Auto vor uns mit dem gebräuchlichen F-Wort an. Sie forderten sie auf auszusteigen, während sie schon begannen, die Eltern vor den Augen ihrer panischen Kinder aus dem Auto zu zerren. Auf meinen Einwand hin, dass sie ihre Arbeit auch freundlicher verrichten könnten, zumal die Familie kein Englisch verstehe, war auch ich an der Reihe. Gerade einmal ausgestiegen, wurde ich gepackt und mit dem Aufruf „Widerstand ist zwecklos“ auf die Kühlerhaube gedrückt. So stand ich dann da, nachts am Straßenrand in Bagdad, die Arme nach hinten, die Hände in Plastikhandschellen: Gefangener der US-Armee. Besonnen versuchten meine Kollegen Graham Usher vom britischen Magazin Economist und meine Kollegin Barbara Surk von der slowenischen Tageszeitung Delo auf den befehlshabenden Offizier einzuwirken. Sie insistierten, ohne mich nicht weiterzufahren, und ich verdanke es ihnen, dass die Angelegenheit am Ende glimpflich ausging. Das Chaos der ersten Wochen ohne Saddam war unberechenbar.
Aber es war nichts im Vergleich zu dem, was noch kommen sollte. Es begannen die Entführungen. Zunächst war es zu gefährlich, in bestimmte Städte im sunnitischen Dreieck zu reisen. Dann wurde jede Fahrt vor die Stadtgrenzen Bagdads zu riskant. Schließlich wurden einige Viertel in der irakischen Hauptstadt selbst zur „No-Go-Area“. Man begann als Journalist extrem auf der Hut zu sein, nur noch mit dem Fahrer seines Vertrauens zusammenzuarbeiten, immer unterschiedliche Routen zu nehmen, sich nicht mehr zu Fuß durch die Straßen zu bewegen. Stets hatte man skeptisch Fahrzeuge im Blick, die sich seitlich näherten. Auch von den amerikanischen Militärpatrouillen hielt man gehörigen Abstand. Zu oft wurden in deren Nähe Bomben gezündet. Nach und nach wurde ganz Bagdad zur unberechenbaren Gefahrenzone. Damit stand das Risiko in keinerlei Verhältnis zur journalistischen Ausbeute. Wenn die Gefahrenlage diktiert, dass der Arbeitsradius sich praktisch auf das Hotelzimmer reduziert, dann stellt sich die Frage, ob man eigentlich noch von einem informierten Journalismus sprechen kann. Ich stellte meine Reisen nach Bagdad ein.
Es ist für einen Journalisten schwer, einen weißen Fleck auf der Berichtslandkarte zu akzeptieren. Vor allem große internationale Fernsehanstalten blieben mit all ihren Möglichkeiten in Bagdad präsent und wahrten den Schein einer umfassenden Berichterstattung. Doch die war in Wirklichkeit schon längst nicht mehr gewährleistet.
Die meisten Fernsehkorrespondenten werden lediglich von ihren Hotelzimmern zu den Kameras auf dem Dach des gleichen Hotels schreiten und nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, die Fragen des Studiomoderators zu beantworten. Vor die Tür werden sie sich kaum trauen, und ihr Filmmaterial werden sie sich von irakischen Fernsehteams zuspielen lassen.
Weit bedrohter noch arbeiten die Zeitungsreporter bei ihren Recherchen. „Reporter in den Irak zu schicken ist extrem gefährlich“, meinte Georges Malbrunot kurz nach seiner glücklichen Freilassung. Er war einer von zwei französischen Journalisten, die 2004 entführt wurden und nach mehreren Monaten traumatischer Odyssee freigelassen wurden. „Kommt nicht mehr zurück“, hatte der letzte Rat ihrer Entführer gelautet. Beide Franzosen wunderten sich darüber, dass immer noch ausländische Journalisten versuchten, im Irak zu arbeiten. Nur wenige Tage nach ihrer Freilassung wurde die kriegserfahrene französische Journalistin Florence Aubenas als vermisst gemeldet.
Sicher, anders als zu Saddams Zeiten gibt es heute eine florierende lokale Presse, aber auch für die irakischen Kollegen hat sich die Arbeit in
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