Alltag auf arabisch: Nahaufnahmen von Kairo bis Bagdad (German Edition)
„arabisiert“ gelten. Der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping glänzte in einem Pressegespräch in Kairo einmal mit der Forderung, dass die Nahost-Korrespondenten deutscher Zeitungen, ähnlich wie die Diplomaten deutscher Botschaften, nach spätestens drei bis fünf Jahren abgezogen werden sollten, da sie ansonsten die Distanz zu ihrem Berichtsgebiet verloren hätten. Misstrauische Augen aus allen Richtungen: Ein Journalist in der arabischen Welt, der für deutschsprachige Medien arbeitet, steht, ob er will oder nicht, im Kulturkampf unweigerlich an vorderster Front.
Kriegsdepeschen
Mit dem Notizblock im Anschlag?
Die Tätigkeit eines Nahost-Korrespondenten ist ein krisensicherer Job. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die nächste Krise kommt bestimmt – sei es im Irak, im Libanon oder in den palästinensischen Gebieten. Dabei ist die Spezies des klassischen Kriegsberichterstatters eine eher abschreckende. Dem journalistischen Wanderzirkus, der in schusssicheren Westen, egal wo auf der Welt, von Krise zu Krise zieht, haftet ein gewisser Zynismus an. Der Krieg und die Krise werden Lebensinhalt des Berichterstatters. Viele sind Selbstdarsteller, regelrechte Kriegsjunkies, die abends an der Hotelbar ihre Veteranengeschichten von sich geben. Hinterher schreiben sie ein Buch im Stile „Der Krieg – der Krieg und ich und ich und der Krieg“.
Dennoch, wenn militärische Auseinandersetzungen in seiner Region stattfinden, dann zieht eben auch ein Nahost-Korrespondent in den Krieg. Die meisten Menschen treibt der gesunde Menschenverstand in genau die entgegengesetzte Richtung. Die Flugzeuge sind leer, ins unmittelbare Kriegsgebiet geht es dann ohnehin nur noch auf dem Landweg weiter. Man weiß, was einen erwartet: extreme, intensive Zeiten unter starkem Arbeitsdruck mit hohem Adrenalinausstoß und vielen Bildern und Gesprächen, die sich für immer im Kopf einbrennen. In solchen Situationen versuche ich mich auf Alltagsgeschichten zu konzentrieren, die eine vollkommen abnormale Situation als ganz normale tägliche Realität abbilden. Alltagsgeschichten, die einen Krieg vielleicht besser beschreiben als die Frontgeschichten von Journalisten, eingebettet bei einer der Kriegsparteien. Krieg ist nicht anonym. In ihm sterben nicht nur Menschen. Dort werden nicht nur Häuser und die Infrastruktur zerstört, sondern auch persönliche Träume, Wünsche und Lebensplanungen. Letztere journalistisch zu beschreiben, kann zumindest ansatzweise das schreckliche Gefühl eines Krieges in deutsche, österreichische oder Schweizer Wohnzimmer vermitteln.
Da ist das Schicksal der 14-köpfigen Familie Scheito, die in einem Beiruter Krankenhaus drei Zimmer belegte. Ihr Minibus war im Libanonkrieg von einer israelischen Rakete getroffen worden. Die anonyme militärische Klassifizierung eines Kollateralschadens bekam durch ihre verbrannten Körper eine traumatische persönliche Note. Genau wie die Frage: Wie hat eigentlich die ganz normale Familie Radwan in Bagdad den Krieg und den Sturz Saddams erlebt? Wie sind die Kinder zur Schule, die Eltern zur Arbeit gegangen? Warum hat sie am Ende doch beschlossen zu flüchten und was macht die Familie Radwan eigentlich heute?
Der Libanon-Krieg
Vierunddreißig lange Tage dauerte der Waffengang zwischen der israelischen Armee und der schiitischen Hisbollah-Guerillatruppe im Sommer 2006. Der Krieg erwies sich nach der amerikanischen Erfahrung im Irak als ein weiteres Beispiel dafür, dass sich militärisch mit einer starken Armee wie der israelischen zwar Länder zerstören, aber nicht besiegen lassen. Die politischen Machtverhältnisse in der Region ließen sich dadurch nicht verändern. Am Ende feierte die Hisbollah ihren „göttlichen Sieg“.
Besuch in der Geisterstadt
(Beirut, den 21. Juli 2006)
„Wir treffen uns Punkt 14 Uhr an der Kreuzung zwischen der zerbombten Brücke und der ausgebrannten Tankstelle.“ So lautete die Anweisung des Hisbollah-Pressesprechers am Telefon. Der Ort im Herzen von Haret Hreik, in der südlichen Vorstadt Beiruts, war tatsächlich nicht zu verfehlen.
Er liegt mitten in einer Trümmerwüste, nur 20 Autominuten vom Zentrum der libanesischen Hauptstadt entfernt. Dort, wo einst das Politbüro der schiitischen Miliz seine Pressestelle sowie die parteieigene Fernsehstation Al-Manar ihre Adresse hatten. Hier in Haret Hreik, was übersetzt „belebte Gasse“ heißt, steht kein Stein mehr auf dem anderen. Das Viertel Hadi Nasrallah, benannt
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