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Alma Mater

Alma Mater

Titel: Alma Mater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rita Mae Brown
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Möglichkeiten nach außen hin streng begrenzt sein würden, wenn sie auf ihr Herz und ihren Körper hörte. Sie wußte, sie konnte ihren Körper zu allem zwingen, was sie ihm befahl. Ihr Herz, das stand jedoch auf einem anderen Blatt.
     
Auch hatte sie keine Vorstellung vom Nutzen der Selbsterkenntnis und der Kenntnis der Gesellschaft, die ein homosexueller Mensch erwirbt.
     
Sie las Mignons letzten Zettel. »Findest du Hojos Fingernägel mit den Sternchen drauf nicht cool? Falls du sie gesehen hast.«
     
Chris schrieb zurück: »Schwer zu übersehen. Mit den Nägeln könnte Hojo glatt als echter Protz-Mandarin durchgehen. Ich kann mir vorstellen, daß sie ihr Essen beim Pizza-Dienst bestellt statt zu riskieren, daß beim Kochen ihre Nägel abbrechen.«
     
Sie hörte Mignon auf der anderen Seite der Tür kichern. Sie hatte zwei ältere Brüder, und sie mochte Mignon, mochte die Vorstellung, eine Schwester zu haben. Schwestern hingen oft sehr aneinander. Wie R. J. und Bunny. Aber dann gab es auch Schwestern wie Sissy und Georgia. Die Energie zwischen Schwestern war so ganz anders als die, die sie bei ihren Brüdern spürte – die sie aufrichtig liebte. Dies zu definieren machte sie konfus. Sie konnte es nicht in Worte fassen, konnte es nur fühlen. Sie fragte sich, ob andere Frauen auch merkten, daß weibliche Energie anders war als männliche. Und was fühlten Männer? Sagten sie ihr die Wahrheit, oder suchten sie sie zu beschützen? Nun ja, es war vielleicht nicht schlecht, beschützt zu werden.
     
Ein frisches Blatt Papier wurde raschelnd unter der Tür durchgeschoben. Sie und Mignon hatten das erste Blatt bereits voll geschrieben.
     
Auf diesem stand: »Die Leute sagen, Vic ist die schönste Frau, die sie je gesehen haben. Mom auch. Ich komm mir vor wie ein Esel neben zwei Vollblutpferden. Gib mir einen Rat. Aus dem richtigen Leben.«
     
Chris legte ein Buch als Unterlage auf ihre Knie. Ein leichter Wind wehte durch das offene Fenster herein. Sie schrieb in ihrer großen, adretten, nach rechts geneigten Handschrift: »Mignon, Schönheit entfaltet sich im Auge des Betrachters. Zunächst. Und du bist im Fohlenstadium. Jetzt siehst du noch nicht so gut aus. Du wirst später viel besser aussehen, wenn du auf dich achtest. Kümmere dich mehr um das, was innen ist als um das, was außen ist. So weit mein Rat.« Sie unterschrieb mit »Die Nicht-Autorität«.
     
Eine lange Pause folgte, während der Mignon die Antwort verdaute. Schließlich kam die Fortsetzung mit einer Zeichnung von einem Schwein. »Willst du mir sagen, daß ich abnehmen muß?«
     
Chris schrieb: »Ja. Wenn du klagst und stöhnst, daß Vic und deine Mutter so schön sind, willst du dann neben ihnen weniger vollkommen sein, als du sein könntest? Nun eine Frage an dich: Wie ist Charly?«
     
Eine Sternschnuppe spannte einen Bogen über den James und zog einen blitzenden Schweif hinter sich her, silbern wie eine Forelle. Chris nahm das als gutes Omen.
     
Mignons Antwort kam zurück: »Charly ist scharf. Ich wollte, ich hätte einen Freund wie ihn. Klug ist er auch.«
     
Chris fühlte einen eifersüchtigen Stich, aber sie verdrängte es. »Mignon«, schrieb sie, »du wirst den Freund haben, der für dich der Richtige ist. Wenn du allerdings abnimmst, wer weiß, ob du Charly deiner Schwester nicht ausspannen kannst (ist bloß Spaß)?«
     
Die Briefchen gingen hin und her, bis Chris abschließend schrieb: »Bin müde. Bis morgen. Träum süß.« Der runde Rand der Sonne schob sich über den Horizont. Der dichte silbrige Nebel, der den Fluß einhüllte, färbte sich rosa, dann rot, dann golden. Es würde wohl neun Uhr werden, bis der Nebel sich heute lichtete, und wenn die Sonne über dem James aufging, würde der ganze Fluß bronzebraun gefärbt sein, während der Nebel seine Finger nach dem unglaublich tiefblauen Himmel ausstreckte.
     
Vic spazierte still am Flußufer entlang. Sie konnte nicht schlafen, deshalb wollte sie die Morgendämmerung begrüßen, ihre liebste Tageszeit.
     
Als sie sich dem Steg zuwandte, sah sie ihre Mutter, einer mittelalten Venus gleich, die durch das blasse silbrige Licht glitt, zum Steg schreiten.
     
Dort trafen sie sich und gingen zum Boot, stiegen wortlos ein und legten ab; R. J. nahm die Ruder. Wegen des Nebels ruderte sie nur hundert Meter weg vom Ufer. Ein größeres Boot würde sie nicht rechtzeitig sehen können; allerdings glaubte sie nicht, daß um diese Zeit welche auf dem Wasser unterwegs waren. Falls

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