Alma Mater
bange sein. Ich möchte, daß du glücklich bist, und als zweite Geige kannst du nicht glücklich sein. Du mußt den Ton angeben, du mußt mehr oder weniger im Mittelpunkt stehen. Das fordert man nicht heraus, es fällt einem zu. Ich weiß nicht, wie glücklich du andernfalls sein würdest.«
»Dann glaubst du auch nicht, daß ich eine gute Ehefrau sein würde?«
»Du könntest es, aber du würdest einen hohen Preis bezahlen. Manchmal glaube ich, daß eure Generation anders ist als meine, verschieden wie Tag und Nacht. Ihr Mädchen werdet keine Erfüllung darin finden, die Zensuren eurer Kinder zu vergleichen. Ihr wollt raus und aktiv sein, raus in die Welt.«
»Denkst du, wenn ich Charly heirate, werde ich in seinem Schlepptau sein?«, fragte Vic, gespannt auf die Perspektive ihrer Mutter.
»Zwangsläufig, weil er der ist, der er ist. Ihr seid beide auf eure Art eine Größe, aber wir leben immer noch in einer Männerwelt.«
»Ich dachte immer, du willst, daß ich heirate.«
»Will ich auch. Wenn du bereit bist und natürlich den richtigen Mann findest, dann ja. In einer starken Ehe liegt eine große Freude, eine Freude ohnegleichen.«
»Du weißt ’ne Menge, Mom.«
»Wenn man so alt ist wie ich, bleibt es nicht aus, daß man ein bißchen gelernt hat.«
»Du bist nicht alt.«
»Na ja, jung bin ich auch nicht mehr.«
»Wenn es dich beruhigt, Charly hat mir keinen Heiratsantrag gemacht.«
»Es beruhigt mich, daß wir dieses Gespräch geführt haben.« Sie stand auf. »Los komm, wir fahren in die Stadt. Wir erzählen es deinem Vater, dann haben wir’s hinter uns. Er dürfte gut gelaunt sein, und das kommt dir zugute.«
»Das freut mich zu hören.«
»Er hat wieder mit den Wallaces zu tun. Das bringt ihn immer auf Hochtouren.«
»Geht’s wieder um Schrotkugeln?«
»Nein. Diesmal um Yolanda.«
»Gott, sie muß die älteste lebende Kuh im Universum sein.«
»Sie ist jetzt die älteste lebende Kuh in der Küche der Wallaces.«
»Mom, da ist noch etwas, worüber ich reden möchte.«
R. J. die aufgestanden war, um ihre Handtasche von der Anrichte zu nehmen, drehte sich um. »Schieß los.«
»Du hast gesagt, ihr wollt vielleicht eine Gartenbaufirma gründen, du und Tante Bunny.«
»Wir sind auf dem besten Wege.«
»So etwas würde ich gern machen. Mom, laß mich für euch arbeiten. Ich arbeite für wenig Geld. Ich würde liebend gern ein solches Geschäft aufbauen.«
R. J. stellte ihre Handtasche wieder auf die Anrichte. »Glaubst du wirklich, Charly würde hier leben wollen, wenn du ihn heiratest?«
»Mom, eben saßen wir noch hier und waren uns einig, daß ich keine gute Ehefrau abgeben würde.«
»Keine Ehefrau im herkömmlichen Sinn«, fügte R. J. mildernd an.
»Manche Leute fürchten sich vor dem Leben, sie fürchten sich, von zu Hause weg und raus in die Welt zu gehen.« Vic stand auf, trat zu ihrer Mutter und sah ihr fest in die Augen. »Ich bin nicht so. Aber Surry Crossing ist genau das, wo ich sein möchte. Mit lebendigen Dingen arbeiten ist genau das, was ich tun möchte.«
»Du erwartest doch nicht mein Einverständnis, daß du das College nicht zu Ende machst?«
»Doch Mom, das erwarte ich. Ich habe endlich erkannt, was ich will.«
R. J. sah aus dem Fenster auf den Fluß, auf das blasse Winterlicht. »Hm, ich habe das College auch nicht fertig gemacht. Es würde mich sehr freuen, wenn du es tun würdest.«
»Mignon kann es für uns beide beenden.«
Es folgte ein langes Schweigen. Sogar Piper war still und wartete, daß R. J. etwas sagte.
»Na schön. Ich spreche mit Bunny. Ohne sie kann ich nichts entscheiden.« Frank war zwar nicht erfreut, aber er nahm die Nachricht gelassener auf, als R. J. oder Vic erwartet hatten. R. J. wollte in der Stadt noch ein paar Besorgungen machen und dann mit Frank nach Hause fahren. Sie bat Vic, Mignon von der Schule abzuholen.
Als Vic in ihrem wasserblau-weißen Impala vor der Surry Highschool herumfuhr, sah sie zu, wie sich die Zirruswolken rotgold färbten. Über dem Haupteingang der Schule hing ein großer Kranz, der Vic daran erinnerte, daß sie noch kein einziges Weihnachtsgeschenk gekauft hatte. Eine Bomberjacke aus Leder wäre genau das Richtige für Charly, aber die waren so teuer. Sie würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen. Sie wollte Chris einen Ring kaufen, aber dann fand sie, das wäre das ideale Geschenk zum Examen.
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