Almas Baby
ein Polizeikrad von der Heiligegartenstraße einbog. Jedes Mal glaubte sie, ihr Herz müsse stehen bleiben. Aber die Polizisten beachteten sie gar nicht. Sie gelangte unbehelligt bis vor das Haus, in dem Jasmin früher gewohnt hatte. „Bitte, lieber Gott, lass sie nicht weggezogen sein“, betete Alma. Unsinn. Gott würde ihr bestimmt nicht helfen, nach all dem, was sie getan hatte. Aber Jasmin wohnte trotzdem noch hier. Jordan. So stand es am Klingelschild. Es roch nach Katzenpisse. Wie zu Hause in Scharnhorst im Flur, als die anderen Mieter sich beschwerten, weil Almas Kater nicht kastriert war und überall seine Duftmarken hinterließ. „Das Vieh muss weg“, hatte Vater gebrüllt. Minky war Almas ganzes Glück. Der kleine Tiger schlief bei ihr im Bett und Alma weinte in sein seidenweiches Fell, wenn sie Kummer hatte. „Papa meint es nicht so,“ versuchte ihre Mutter sie zu trösten, aber sie hatte unrecht. Eines Nachts, als ihr Vater zu ihr gekommen war, hatte er Minky im Genick gepackt und aus dem Fenster geschleudert. Aus dem dritten Stock auf die Straße. „Das Tier hat praktisch nichts gemerkt. War sofort tot.“ Aber Alma wusste, dass auch dies nur ein leerer Trost ihrer Mutter war. Noch lange Zeit danach hatte sie stets gezittert, wenn ihr Vater auftauchte. „Stell dich nicht so an“, pflegte der dann regelmäßig zu sagen. „War ja nur ein dummes Vieh.“
„Selber Vieh“, dachte Alma und drückte mehrfach und lange auf den Klingelknopf. Es war noch früh und sie wusste aus Erfahrung: Ein Junkie, der die Nacht über auf dem Straßenstrich gearbeitet hat und sich im Morgengrauen am Bahnhof den nächsten Schuss besorgt, der ist nicht so schnell wach zu kriegen.
Jasmin reagierte nach Almas fünftem Anlauf. Im ersten Stock wurde ein Fenster aufgerissen. Es erschien ein orangefarbener Strubbelkopf, der kein Gesicht zu haben schien. Aber eine Stimme. Und die brüllte: „He, Arschloch. Mach dich vom Acker.“
„Bitte Jasmin, mach auf, ich bin’s, Alma.“
„Alma? Welche Alma? Ich kenn’ keine Alma.“
„Bitte Jasmin. Mach keinen Scheiß. Ich hab doch mal bei dir gewohnt.“
„Ach, die Alma. Wer hätte das gedacht. Wart ’nen Moment, ich werf den Schlüssel runter. Du weißt ja, wo’s lang geht.“
Und dann schlug ein schwerer Schlüsselbund direkt neben dem Kinderwagen auf die Straße. Alma erschrak. Er hätte Marie treffen können. Aber es war ja gerade noch gut gegangen. Sie hatte Mühe, den Kinderwagen durch die schwere hölzerne Haustür zu bugsieren. Sie zögerte ein wenig, ihn im Hausflur stehen zu lassen. Er war nagelneu und hier klauten alle alles. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Vielleicht könnte sie später Jasmin bitten, ihr dabei zu helfen, ihn in die Wohnung zu schaffen. So parkte sie ihn unterhalb der Briefkästen, nahm das Baby auf den Arm und hängte sich die schwere Tasche über die Schulter. Sie enthielt nur das Notwendigste, das sie bei ihrer Flucht von zu Hause eingepackt hatte. Und das war nun gleichzeitig alles, was Alma besaß. Bis auf die Scheckkarte für das gemeinsame Bankkonto. Ob Berthold es wohl hatte sperren lassen? Sie hoffte inständig nicht, denn ohne Geld war sie obdachlos. Jasmin würde sie auf Dauer nicht kostenlos beherbergen. Das konnte sie sich einfach nicht leisten.
Eine ausgemergelte Gestalt, die jetzt, nur mit einem schmuddeligen T-Shirt bekleidet, am Küchentisch hockte. Die Zigarette im Mundwinkel. Die Wohnung war voller Unrat. Es sah schlimmer aus, als in der Kleingartenlaube. Hier gab es nicht nur leere Flaschen, sondern auch vergammelte Essenreste in Pappschalen und auf verschimmelten Tellern.
„Was ist das denn?“, nörgelte Jasmin an ihrer Zigarette im Mundwinkel vorbei. Sie zeigte mit einem Finger auf das Baby, so als handelte es sich um ein ekliges Insekt. „Ist das die Morgengabe einer reuig zurückgekehrten Verräterin?“
„Wieso Verräterin? Ich bitte dich, Jasmin, ich wollte doch nur hier raus. Weg von all dem Dreck. Das musst du doch verstehen.“
„Sicher. Und dafür musstest du mir die Bullen auf den Hals hetzen. Die haben mir die Bude auf den Kopf gestellt und prompt den Stoff gefunden. Weißt du, was mir das eingebracht hat? Neun Monate Knast wegen Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Ich bin auf Bewährung draußen. Und jetzt kommst du wieder angekrochen. Noch dazu mit einem Balg.“
Alma war total erschöpft. Sie ließ sich auf den einzigen freien Stuhl fallen und wiegte das weinende Baby
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