Alpendoener
Warze wuchs. Die Frau nahm an Gewicht zu, sie war wahrscheinlich
mal eine unglaubliche Schönheit gewesen, die im wachsenden Unglück und der
Feindseligkeit allerortens unter den Menschen und der
zu vielen Arbeit schneller verblühte, als normal war.
Nun saß sie vor ihm und schimpfte ihn einen Nazi, und er
wünschte sich, dass sie das nicht täte, er hätte ihr sogar ganz gern geholfen.
Aber diese Lust schwand.
Er hatte nie von Morden geträumt. Das brauchte man nicht, um
eine Arbeit bei der Polizei als befriedigend zu empfinden. Man träumte nicht
davon. Es war auch nicht der schrecklichste Anblick, den man je zu ertragen
gehabt hatte. Wenn man da stand, wollte man wissen, worum es ging, wollte die
Umstände und die Spuren sehen und verstehen. Da war der Ekel auf einmal ganz
klein und unwichtig. Man wollte wissen, wann das Herz zum letzten Mal das Blut
aus dem Körper der alten Frau gepumpt hatte. Man wollte wissen, wann sie zum
letzten Mal geröchelt, wann sie den letzten Gedanken hatte und wohin der ging.
Man wollte wissen, ob der Mörder noch einen Blick auf den Leib geworfen, er
noch mal nachgedacht hatte über das, was er da gerade veranstaltet hatte, bevor
er zur weiteren Tat schritt und die Schubladen nach Beute durchwühlte.
Bruno Abraham hatte gedacht, es würde jetzt alles furchtbar
kompliziert werden, sie würden in einem Kriminalfall stecken, eine abweichende
Spur verfolgen, die ihnen der raffinierte Mörder gelegt hatte, feststecken,
depressiv werden, irgendwann eventuell Glück haben und durch einen Zufall den
Schlamassel lösen oder die Sache vergessen.
Aber beinahe banal war die Lösung gekommen in
kurzer Zeit. Vielleicht drückte einen so ein Mord dermaßen aus seiner
Normalität, dass man nicht nur etwas übersah, was die Fahnderaufmerksamkeit auf
einen als Mörder lenkte, sondern dass man praktisch alles verkehrt machte, was
man in so einem Fall verpfuschen kann. Aus Aufregung, aus schlechtem Gewissen
oder von Natur aus.
Anders konnte sich Bruno das Zustandekommen der Lösung dieses
Falles nicht zusammenreimen.
Trimalchio hatte am Tag zuvor
angerufen, hatte ihm von einem Mord erzählt und dass er sofort kommen solle.
Bruno hatte aufgelegt und war kurz ziemlich aufgeregt, ja, er hatte sich sogar
ein bisschen gefreut. Ein Mord.
Er war mit seinem Auto zum Tatort gefahren. Ein
unscheinbares grünes Mietshaus, nicht weit von der Fachhochschule. Da lief der
Betrieb ohne Rücksicht auf die Vorkommnisse in der Nachbarschaft. Polizeiautos
auf der Straße vor dem Haus, vier, ein Kombi. Er hatte seine Kollegen gegrüßt.
Sie waren nervös, versuchten aber, ruhig und routiniert zu wirken. Trimalchio stand im Hausgang, hatte einen Mantel über
seinem Sakko und seiner Jeans an. Mit seinen Locken und dem leichten Grinsen,
mit dem er seinen Chef Bruno Abraham erwartete, schaute er aus wie ein
sportlicher italienischer Tatort-Kommissar. Einer, der die Frauen lässig um den
Finger wickelt und so aus ihnen jede Information bekommt und den Fall in 90
Minuten löst und dann zu Frau und Kindern heimkehrt. So lange würden sie
diesmal auch brauchen, ungefähr.
»Was ist passiert?«
»Eine alte Frau, sie muss seit Jahrzehnten hier leben, wurde
heute Mittag gefunden.«
»Aha.«
»Die Tatwaffe: ein Messer mit einer ungefähr 50 Zentimeter
langen Klinge. 17 Stiche in den Thorax. Saubere Arbeit.«
Thorax? Abraham überlegte, was er jetzt noch fragen könnte,
bevor er bat, zur Leiche geführt zu werden, um sich selbst ein Bild zu machen.
Er war gespannt, wie sehr er sich zusammenreißen müsste, um bei dem Anblick die
Würde zu bewahren und sicher seine Anweisungen geben zu können.
»50 Zentimeter?«
»Ein sogenanntes Kebabmesser.«
»Das sollten wir festhalten.«
»Haben wir schon, die Waffe lag noch hier.«
»Prima. Wie alt war die Frau?«
»Mitte 80.«
»Ja, dann hätte man doch warten können.«
Trimalchio lachte auf und sagte
dann: »Jetzt pass auf, es wird noch heißer.«
»Ja?«
»Auf dem Messer waren Fingerabdrücke.«
»Nein.«
»Doch, und auch in der restlichen Wohnung.«
»Schon identifiziert?«
»Sieht gut aus.«
»Erzähl.«
»Du hast nicht gefragt, wer die Leiche entdeckt hat.«
»Wer hat denn die Leiche entdeckt?«
»Die Nachbarin.«
Die Männer schauten sich schweigend an.
»Und weiter?«
»Eine Türkin.«
»Jetzt pass auf.«
»Habe ich mir auch gedacht. Jetzt hör zu. Also sie ruft an
heute gegen 9, wollte grade raus und mir
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