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Alpendoener

Titel: Alpendoener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Spatz
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beinahe auch wieder
aufgestanden, Abraham hob die Hand, um sie zurückzuweisen.
    »Dann erklären Sie mir, wie diese Fingerabdrücke
auf die Mordwaffe kommen, dann erklären Sie mir, wie diese Mordwaffe in die
Wohnung der Frau Zulauf gelangt ist.«
    »Man muss es uns geklaut haben.«
    »Das heißt, irgendjemand muss in Ihren Laden gekommen sein
und, während Sie nicht aufgepasst haben, das Messer hinter der Theke
hervorgeholt haben.«
    »So muss es gewesen sein.« Sie sagte das so leise, als ob sie
jetzt vollends aufgab und einsah, dass sie ihren Gatten an ein deutsches
Gefängnis verloren hatte für die nächsten 15 Jahre.
    »Wie bitte?«
    »So muss es gewesen sein.«
    »Wann, Frau Kemal, haben Sie denn das Messer vermisst?«
    »Gestern morgen.«
    »Das heißt, als Sie vorgestern Ihr Geschäft geschlossen
haben, hing es an seinem Haken wie jeden Abend.«
    »Genau.«
    »Und Sie sind sich sicher, dass Sie die Tür verschlossen
haben?«
    »Ganz sicher.« Frau Kemal fasste wieder Vertrauen, der Bulle
ihr gegenüber redete zum ersten Mal wirklich mit ihr.
    »Frau Kemal, das ist jetzt ganz wichtig: verschlossen oder
geschlossen?«
    »Verschlossen.«
    »Kennen Sie den Unterschied?«
    »Ich spreche diese Sprache seit mehr als 20 Jahren, ich bin
praktisch hier geboren, ich habe hier meine Schule abgeschlossen –
abgeschlossen, verstehen Sie?«
    »Ist in Ordnung. Wie lange haben Sie Ihr Geschäft schon in
Kempten?«
    »Fünf Jahre.«
    »Und wie lange kennen Sie Ihren Mann schon?«
    »Immer schon, wir sind miteinander aufgewachsen.«
    »Sind Sie verwandt?«
    »Nein, wie kommen Sie darauf?«
    »Standardfrage. Frau Kemal, wo war Ihr Mann, nachdem Sie
gestern gemeinsam Ihr Geschäft verlassen haben?«
    »Er war die ganze Zeit bei mir.«
    »Und Sie waren nicht in der Wohnung der Frau Zulauf?«
    »Nein, waren wir nicht.« Jetzt war sie eine starke
Frau, sie sagte das bestimmt und laut. Sie hatte verstanden, dass sie mit ihm
kooperieren musste, um noch irgendetwas zu erreichen, was ihr freilich wenig
bringen würde: Abraham war sich sicher, den Richtigen verhaftet zu haben.
    »Würden Sie diese Aussage unter Eid vor Gericht wiederholen?«
    »Würde ich.«
    »Wissen Sie, was ein Eid nach Deutschem Gesetz bedeutet?«
    »Weiß ich. Behandeln Sie mich nicht wie eine Idiotin.«
    Das überraschte Abraham, er hatte gedacht, die Türken hätten
ihren Frauen das Aufbegehren ausgetrieben. Er musste wieder strenger mit ihr
reden.
    »Frau Kemal, haben Sie finanzielle
Schwierigkeiten?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Beantworten Sie bitte meine Frage.«
    »Nein.«
    »Wie läuft Ihr Geschäft?«
    »Wir sind zufrieden.«
    »Keine Probleme, die Miete aufzubringen, keine Mühe, die
Zulieferer zu bezahlen?«
    »Die Räume gehören uns.«
    »So? Ihnen. Dürfte ich Sie dort einmal aufsuchen,
vorausgesetzt, es ist Ihnen nicht zu viel, nachdem Sie ja nun allein im Laden
sind.« Das sollte ein kleiner Hieb sein. Er traf aber nicht.
    »Wir können sofort hingehen.«
    Abraham hatte keine Lust. »Frau Kemal, wir haben
hier auch noch andere Fälle, es geht jetzt wirklich nicht. Sollen wir für heute
Nachmittag einen Termin ausmachen?«
    »Sie wollen uns gar nicht helfen. Sie wollen nur einen
Schuldigen und dann normal weitermachen. Mein Mann ist unschuldig.«
    »Ich habe mittlerweile mitbekommen, dass Sie dieser Meinung
sind, doch glauben Sie mir: Die Deutsche Justiz arbeitet sauber und gründlich.
Wenn Ihr Mann unschuldig ist, wird er schneller frei sein, als Sie glauben.
Frau Kemal, ich bin nur ein kleines Rädchen, und ich habe meine Umdrehung
gemacht.«
    Sie resignierte. »Wann kommen Sie?«
    »Heute Nachmittag. Sind Sie einmal nicht da?«
    »Nein, ich bin immer da, kommen Sie, wann Sie wollen. Auf
Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen, ich tue, was ich kann.«
    Die Frau schlurfte gebückt zur Tür. Sie war wieder älter
geworden.
    Als sie weg war, schaute Abraham zu Tina, die ihn ratlos und
lange anstarrte. Er hätte gern gewusst, was sie jetzt dachte. Irgendwie ließ
ihm die Angelegenheit keine Ruhe.

     
    *

     
    Birne hatte sich auf die Straße gestohlen und
kam sich doof dabei vor. War er nicht ein freier Mensch, der einmal keine Lust
hatte, mit jedem Idioten zu gehen? Egal jetzt, er war allein auf der Straße und
konnte machen oder lassen, wozu er Lust hatte. Er spazierte ein Stück und lobte
das Spazierengehen, wie man dabei Zeit bekam für seine Gedanken; Gedanken, die
einem, wäre man nicht spazieren gegangen,

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