Alpendoener
vielleicht nie gekommen wären. Schade
um die Gedanken, wenn man etwas für Gedanken, eigene, übrig hatte, dachte
Birne.
Der Nebel war weg und ließ die Sonne unbehindert mit zarter
Kraft die Straßen anheizen. Das schlug auf die Stimmung der Leute, sie wurden
freundlicher. Birne war einer von ihnen und fühlte sich auch so und verzieh den
meisten alles. Im Moment meinte es das Leben nicht so schlecht mit ihm. Im
Moment fand er Jammern albern.
Dann kam der Geruch und mit ihm Birne was Verwegenes in den
Sinn: Kebab. Er war erwachsen, er konnte sich alles zum Essen kaufen, er konnte
sich überall hinsetzen, er konnte asiatisch haben, doch Kebab, den roch er
jetzt, Kebab wollte er jetzt haben und sich vorstellen, wie Werner darüber
schimpfte, dass man so etwas aß, dass man so etwas überhaupt kaufen könne, sich
vorzustellen, wie Tim, wäre er jetzt bei ihm, darüber sein Gesicht knetmassenverziehen würde, dann doch mitginge und die halbe
Semmel angeekelt liegen ließe und die andere, die eben verzehrte Hälfte mit Cola-light wegspülte, zumindest den Geschmack, zumindest
aus dem Mund. Und Sigrid? Sigrid würde ihn für verrückt erklären. Kebab! Da
könnte er ja gleich den Rinderwahnsinn mit Löffeln fressen.
Birne betrat den kleinen, blau gekachelten Laden
und richtete seine Augen nach oben, über die Theke, von wo ihn das Angebot
anstrahlte. Er konnte vieles haben, auch Vegetarisches und Pommes, aber er
wollte Kebab im Fladenbrot, Döner für 3,30 in der Tasche. Er senkte seinen
Blick nicht so weit, dass er auf den Salaten und Süßgebäcken der Auslage vor
ihm zu ruhen kam, nein, nur so weit, dass er der Verkäuferin, die allein war,
in die tiefmelancholischen Augen sehen konnte. Und Birne müsste sich täuschen,
wenn in ihrem Blick nicht mehr lag als das gewöhnliche Interesse einer
Verkäuferin am Wunsch eines sicheren Kunden. Da lagen ein größeres Wollen, ein
tieferes Kennen und ein Drang zu reden darin, die Birne verwirrten, weil er
nicht wusste, woher das herrührte, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass
jemand etwas mehr von ihm wollte. Woher auch? Birne sagte: »Kebab bitte.«
Sie sagte: »3,30 bitte, zahlen Sie beim Gehen«
und machte sich ans Werk, schnitt Fladenbrot und schaute kurz zu ihm auf, schob
Fladenbrot in den Ofen und schaute, schnitt Fleisch mit einem großen Messer vom
Drehgrill und hätte geschaut, doch Birne setzte sich jetzt an einen Barhocker
an der Wand vor einem großen Stehtisch und drehte zum Spielen den
Chilipulverstreuer in dem Aschenbecher, in dem er stand, nur um nicht
angeblickt zurückblicken zu müssen und den Beschluss ›heute Kebab‹ zu bereuen.
Er wollte vor allem und wie gesagt viel Ruhe vor den Menschen. Vor allem vor
den fremden.
Aber die hier schaute ihn an, als ob sie ihn kennen würde. Woher
nur?
Es war übrigens sonst niemand in dem Laden. Ob
der Döner hier nicht gut war? Birne war das egal, er fand Leute albern, die
sich Tage darüber streiten konnten, wo Kebab besser war, welches Bier trinkbar,
welches bestenfalls Radler-geeignet war, welche
Comics nur früher gut waren und welche man heute immer noch lesen konnte. Waren
ihm alle zu albern, diese Diskussionen. Aber diese Gedanken freuten ihn, die
kamen ihm nur, weil er allein war im Kebabladen und nicht redete.
Warum schaute die ihn dauernd an?
Die Tür ging auf, zwei Kinder stürzten herein,
konnten acht und zehn sein, und beinahe hatte Birne ein Aha- Gefühl, das
verflog, bevor es sich manifestierte, als die Mutter und Kebabverkäuferin die
Kleinen auf Deutsch fragte, wie es in der Schule gewesen sei und das Mädchen
fröhlich antwortete: »Wir haben eine Probe geschrieben, die war kinderleicht.«
Die Mutter freute sich, strich ihrer Tochter übers Haar, und der Bub sagte
etwas Wütendes auf Türkisch, was die Mutter mit einer strengen Frage beantwortete,
auf die der Junge wiederum im verteidigenden Ton antwortete. Einen Satz sagte
die Mutter noch auf Türkisch und dann auf Deutsch und, Birne war sich sicher,
nur für ihn: »Nur weil wir Türken sind. Ich werde mit ihm reden, und jetzt
macht eure Hausaufgaben.«
»Was ist mit Papa?«, wollte das Mädchen wissen.
»Es ist alles in Ordnung, Papa kommt bald wieder nach Hause,
macht euch keine Sorgen, macht Hausaufgaben. Bitte.« Und wieder ein Blick zu
Birne, düster und mit dem Hauch eines Begehrens, keines fleischlichen.
Die Kinder verschwanden nach hinten. Die Frau legte ihm
seinen Kebab
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