Alpendoener
überlegte sich noch eine Strafe für Birne
und brachte ihn zum Schwitzen. Dann gab er den Gedanken auf. Er wurde ruhig,
fast zärtlich sagte er: »Wart, ich bring dich hin.« Und zu Birne: »Wenn du
Montagvormittag Zeit hast, dann klären wir das in Ruhe.«
Birne war erlöst. »Muss dann halt gehen. Ich sag meinem Chef,
dass ich in einer wichtigen Polizeiangelegenheit weg
muss. Dafür wird er Verständnis haben.« Er konnte es sich nicht verkneifen zu
der Sekretärin hinüberzwinkern. Sie lächelte ihn an.
»Sag mal, soll ich dich auch noch ein Stück mitnehmen? Wenn
ich eh schon fahre?«, fragte Bruno auf einmal großzügig.
»Gern«, nahm Birne an.
Sie brachten die Frau, die sich mit einem
kleinen Kuss auf Abrahams Wange bedankte, zum Studio für Frauen und schauten
ihr beide verträumt auf den Hintern, als sie ausstieg.
»Tolle Frau«, stellte Birne fest.
»Ja, aber sehr anspruchsvoll. Da muss schon ein besonderer
Mann her.«
»So einer wie du?«
»Du, lass mich in Ruh mit den Weibern.«
Birne lachte. »Du kannst mich gleich hier rauslassen, ich
hab’s nicht mehr weit.«
»Ich muss in deine Richtung, wir machen das komplett.«
»Wo wohnst du?«
»Waltenhofen.«
»Echt?«
Hinter ihnen hupte ein Auto, weil sie vor einer Ampel
standen, die nun grün war.
»Ich fahr ja schon, du Arschloch.« Und zu Birne
gewandt fuhr Abraham fort: »Verstehst du, was ich meine?«
»Ein bisschen schon.«
»Du hast ein bisschen Spaß zu zweit, dann lässt sie dich
fallen, weil sie einen Arzt findet oder einen Unternehmensberater mit wirklich
Geld in der Tasche. Da sind wir kleine Amüsierbrocken zwischenrein.«
»Zweifellos.«
»Mir ist auch die Frau davon und ich habe darüber furchtbar
geflucht, aber mittlerweile bin ich ehrlich froh. Mir fehlt gar nichts. Ich
schieb ab und zu mal eine Nummer mit einer Barbekanntschaft ,
und das genügt, den Rest meiner Zeit bin ich der freieste Mann der Welt.«
»Versteh schon«, erwiderte Birne, obwohl er Bruno
durchschaute: Er würde gern die kleine Sekretärin haben, doch die zierte sich.
»Du wohnst hier, gell. Ich lass dich jetzt raus.«
»Du, vielen Dank.«
»Gern geschehen. Sauber bleiben, Birne.«
»Na klar.«
Birne stieg aus.
Bruno Abraham fuhr an, als sein Handy furchtbar vibrierte und
schreckliche Piepsgeräusche von sich gab. Er nahm es und schaute nach, von wem
die SMS kam.
»Heute steht Leibesertüchtigung in meinem Mondkalender, Bär«,
stand da und die Nachricht war von Tina.
*
Birne trabte trotzig durch das Sauwetter. Bruno
hatte ihn eine Kreuzung zu früh rausgelassen . Alles
wurde nass in Sekundenschnelle, sein leichter Kittel war zu dünn für diesen
Sturm. Er fühlte sich gereinigt, er fühlte seine Kraft wachsen. Er kehrte durch
den Regen zurück nach Hause, wo so viel Schicksal und Prüfung auf ihn warteten,
wie noch nie an einem Ort, den er Zuhause genannt hatte.
Er musste niesen und beschloss, einer Erkältung keine Chance
zu geben, sich jetzt in ihm breit zu machen. Er würde kämpfen gegen alles. Er
hatte neu angefangen, nichts konnte ihn umwerfen. Seine Schuhe, seine Socken
waren wie ein einziger feuchter Brei an seinen Füßen. Ihm war nicht kalt, er
konnte schneller gehen als jede Kälte, die in ihm aufziehen wollte.
Sein Haus hob sich mit einem noch dunkleren Grau
gegen das Grau des Himmels ab. Es gab kein Licht in seinem Stockwerk und auch
keines in dem der Toten – das hieß, ihre Jungen waren weg. Nur in den früh
heruntergelassenen Rollläden der Kemals im Erdgeschoss waren gelbe Schlitze zu
sehen. Sie hatten was zu verbergen und schauten gemein in die Welt hinaus. Ohne
sich abzutrocknen, beschloss Birne, würde er sie nun aufsuchen und ihnen alles
vor die Füße knallen, bis er fertig wäre mit ihnen.
Er klingelte an ihrer Wohnungstür und hörte gleich darauf,
wie jemand drinnen den Haustüröffner drückte. Birne klopfte, um zu
signalisieren, dass er schon da war. Es wurde geöffnet, der Junge stand vor ihm
und schaute ihn mit großen Augen von unten an, sagte nichts. Er kannte Birne
nicht und hatte keine Ahnung, was er wollte.
»Ist deine Mama da?«, sagte Birne und wunderte sich selbst,
wie nett er klang.
Das Kind drehte sich um und rief in den Gang hinein.
Kurz darauf erschien Frau Kemal. Sie setzte ein ernstes
Gesicht auf und öffnete die Tür weit.
»Hallo«, grüßte Birne.
Die Frau ging zur Seite und ließ Birne eintreten,
sie sagte nur »Bitte« und wies ihm
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