Alpendoener
war.
Simone gehörte sein Herz. Keine Frage. Aber damit gehörte ihr
nicht viel.
Drinnen bei sich holte er das Geld raus und
sortierte sauber die Bündel vor sich auf dem Küchentisch. Er legte das Telefon
daneben, betrachtete das Stillleben und bedauerte, dass kein flämischer Meister
zum Malen da war. Er nahm das tragbare Telefon und wählte bewusst und glücklich
jede Ziffer seiner Schicksalsnummer. Es tutete dreimal, bevor die Mailbox
ranging. Birne hörte eine unpersönliche, nicht unfreundliche Ansagerinnenstimme
und dann sie – ihren Namen sagen. Das klang gut. Er hinterließ keine Nachricht,
er legte auf und starrte sieben Minuten verträumt in die Luft. Dann probierte
er es noch einmal und hatte nicht mehr Erfolg als beim ersten Mal. Und das
nächste Mal und das übernächste und auch das zwölfte und letzte Mal an diesem
Abend nicht. Birne war jetzt schlecht drauf. Wo war sie? War sie in den Armen
Bernds? Dachte sie an ihn oder dachte sie nicht an ihn? Würde sie sich melden?
Würde sie an der Anzahl seiner Anrufe seine Verzweiflung spüren? Hatte er sich
zu früh gefreut?
Ein quälender Abend war das, den Birne durchzustehen hatte.
Er beschloss, es nun nicht mehr zu versuchen und versuchte es nur 20 Minuten
später noch einmal. Wieder nichts. Birne hatte nichts zum Saufen im Haus und
auch keine Lust mehr zu saufen. Er schaltete seinen Computer ein und suchte
eine Videoseite auf, beinahe mechanisch; die Zeit verging hier so rasend, wie
er es in seiner Stimmung brauchte. Ihm fiel ein, dass er gestern gefilmt worden
war, während er vermöbelt wurde. Das wäre ein schöner Beweis, wenn er sich da
finden konnte. Er probierte die Suchbegriffe ›Kempten‹, ›Schlägerei‹, dann
Abwegiges wie ›Kanake‹, er blieb erfolglos. Wieder mal. Ein unbequemes Gefühl
war das: Irgendwo da draußen steckte es und die ganze Welt konnte zusehen, wie
er verprügelt wurde, nur er wusste nicht, wo er sich finden konnte. Die lachten
alle über ihn und er konnte es nicht sehen. Er fühlte sich machtlos. Wieder ein
Anruf bei Simone, wieder ohne Erfolg, den er jetzt hätte gebrauchen können, da
half ihm auch das Geld nicht weiter.
Er wusste nicht, was los war, und es war schlimm. Birne
erkannte an seiner Übelkeit, wie schwer es ihn erwischt hatte. Simone wollte er
haben oder keine. Alexa war weg.
8. Tag
Birne schlief kaum und träumte schwer. Er wurde verhauen
und konnte sich nicht wehren. Sie bekamen seinen Sack zu packen, rissen ihn
heraus und liefen davon. Er hinterher, laut schreiend, und wie er um die Ecke
kam, standen da die Kemals und Simone und unterhielten sich prächtig und
fragten sich, warum er so rumschrie . Es war ihm
unendlich peinlich, dass er sich so aufführte. Da bemerkten die anderen die
blutende Stelle an seiner Leiste. Sie bedauerten ihn aber nicht, sondern fingen
an zu lachen. Tief enttäuscht wachte Birne auf und wunderte sich, dass der
Traum eben ein feuchter war, und dachte sich, dass er den Samen gern Simone
gegeben hätte und wie eigenartig das Leben manchmal spielte.
Er stand auf und war sehr gerädert. Er trank einen Kaffee und
musste sich danach eine neue Hose anziehen. Er aß mit Mühe ein Brot mit
Nutella, und als er gerade seine Wohnung verlassen wollte, schmierte er sich
einen Rest des Brotaufstrichs, der mysteriös auf seinem Zeigefinger kleben
geblieben war, an sein Hemd. Auch wechseln. Dann zur Sicherheit noch einmal in
die Küche schauen, ob der Ofen aus war – war er im sprichwörtlichen Sinne,
musste nicht stattdessen der wahre an sein – der echte war auch kalt. Den
Mülleimer bemerken, wie er überquoll, denken: wieso nicht heute und jetzt mit
rausnehmen?
Birne nahm die Tüte mit raus, nahm praktisch keine Notiz von
dem Mann, der in der Nähe der Tonnen herumlungerte, und warf die Tüte in den
Restmüll. Der Mann auf der Straße, der Birne zuerst so egal war, kam direkt auf
ihn zu. Ein leicht blau kariertes Hemd spannte sich über seinen Bauch.
Alkoholäderchen durchfurchten sacht seine Kartoffelnase. Er hatte nur wenige
graue Haare und die streng nach hinten gezwungen und eine Brille; er hatte nur
noch wenige Jahre bis zur Rente und würde die nicht lange genießen können, weil
sich bald ein Herzinfarkt und ein böser Krebs einen Wettlauf liefern würden,
ihn dahinzuraffen. So sah Birne den Mann, der ihn unverfroren ansprach: »Guten
Morgen.«
»Guten Morgen«, antwortete Birne lustlos und in Eile.
»Darf ich
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