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Alpendoener

Titel: Alpendoener Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willibald Spatz
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das leere Glas, das in seiner Hand lag und entdeckte Sekttropfen,
die er auf sein Hemd gebracht hatte.
    Der Chef bemerkte sie auch. »Soll ich einem
begabten jungen Mädchen, das sich nichts zuschulden kommen lassen hat bisher,
mehr glauben oder einem desillusionierten, verzweifelten Mann, der am
Montagmorgen in meinem Büro die Sektflecken auf seinem Hemd bedauert? Mal
ehrlich? Herr Birne, ich bin kein Unmensch. Meine Meinung: Jeder sollte eine
Chance bekommen, auch der, der ganz unten war, der meinetwegen Drogen verkauft
hat, der, der Schulmädchen gemordet hat – jeder sollte seine Chance bekommen.
Herr Birne, es gibt Menschen, die können Ihnen helfen, Sie müssen nur
annehmen.« Er begann, in seiner Schublade zu wühlen. »Ich habe hier eine
Telefonnummer, da rufen Sie an, das kann ich noch für Sie tun.«
    »Ich habe keine Hilfe nötig, ich bin unschuldig.«
    »Herr Birne, Sie brauchen nicht herumzuschreien,
wenn ich versuche, Ihnen zu helfen. Unter diesen Umständen bitte ich Sie,
umgehend dieses Büro und diese Firma für immer zu verlassen.«
    Birne verlegte sich aufs Weinen: »Lassen Sie das Fräulein
seine Aussage vor unseren Augen wiederholen.«
    »Nein. Wir sind fertig.«
    Birne schaute ihn traurig an, der Chef holte Unterlagen aus
Schubladen und fing an zu arbeiten oder beschäftigt zu wirken. Es waren
vielleicht Birnes Unterlagen, die seinen Rausschmiss
besiegeln sollten. Birne wusste nicht, wie reagieren. Er konzentrierte sich auf
seinen Atem, der sich nicht beruhigen ließ. Der Chef blickte noch einmal auf,
wunderte sich, dass der Gefeuerte noch hier mitten in seinem Büro, in seinem
Leben, saß. Er setzte an, sagte nichts, sondern schaute wieder verkrampft-konzentriert auf sein Papier vor ihm. Birne
versuchte aufzustehen und den Ort der Niederlage zu verlassen – ihm versagten
die Beine. Er kämpfte mit den Tränen und haderte deswegen mit sich – Tränen
wegen so etwas. Er kam sich klein vor, wahrscheinlich so klein, wie er wirklich
war in diesem Moment. Er drückte die dünnen Ränder des Glases in seiner Hand
fest, er hätte es gern zerbrochen und gern gesehen, wie sich die messerfeinen
Scherben zentimetertief in seinen Handballen bohrten, er hätte sich gern bluten
gesehen und Schmerz gefühlt, um zu wissen, dass das hier real und das Leben
war, sein neues.
    »Müllinspektor, dass ich nicht lache«, löste der Chef die
Stille auf.
    »Bitte«, sagte Birne.
    »Nein«, sagte der Chef hart.
    Das hatte er noch gebraucht. Birne stand auf und ging.
    Die Kollegen saßen noch, Birne nahm sie kaum wahr, hörte nur
Werner plärren: »Was macht denn der für ein Gesicht? – Der macht ja ein Gesicht
wie drei Tage Regenwetter. Hey, Birne.«
    Birne wollte nicht reagieren, Birne wollte weg sein und von
allem nichts mehr spüren, er wollte in Watte gepackt sein und davon schweben zu
den Wolken und eine von ihnen werden. Birne landete auf der Straße. Er hatte
das Glas noch in der Hand, schmiss es voll Wut auf die Straße und traf dabei
ein vorbeifahrendes Auto am rechten vorderen Kotflügel. Es war ein BMW, ein
blauer, und sein Fahrer hielt an und stieg fluchend aus. Er hatte die Absicht,
Birne zu verdreschen und dann für die Kratzer am Wagen zahlen zu lassen.
    Birne erwachte aus seiner Resignation und rannte los, rannte,
als ginge es nicht um Hiebe und ein paar Euro, sondern um sein ganzes Leben,
sein neues, sein altes, seine Liebe, er rannte und schrie und begann zu
schwitzen, und es lief der Schmerz mit ihm und von ihm. Der Mann, der Fahrer
hinter ihm, brüllte noch, aber er rannte nicht mehr, denn er hatte begriffen,
dass der, den er da verfolgte wegen seines kleinen Blechschadens, nicht
einholbar war, weil er um mehr lief. Er schrie nach der Polizei. Die Polizei
kam nicht.

     
    Birne lag in seinem Bett und sortierte seine
Wunden, katalogisierte seinen Schmerz. Es war ihm ein Unrecht getan worden:
Jemand, der jünger war und – ohne Eitelkeit – viel hässlicher, hatte ihn
rausgeschmissen, hatte ihn zum Versager werden lassen. Das Leben war kein Spiel
mehr, er musste ab jetzt mehr acht- oder komplett aufgeben, was anderes blieb
ihm nicht übrig.
    Das war der eine Schmerz, der jüngste, der
zweitjüngste schob sich, während Birne da lag und sich nicht bewegte, vor den
ersten und betraf Simone. Die hatte ihn sitzen lassen, hatte ihn vergessen.
Wäre das nicht geschehen, hätte das meiste in Ordnung sein können. Dann hätten
der alte Sack, der vor

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