Alpengold (German Edition)
an die Brust. Ihr Herz pochte wie verrückt und sie merkte, wie ihr Kreislauf absackte. Hilfesuchend griff sie Jens‘ Arm.
„Hey, es war doch nur ein ...“ Er unterbrach sich, als er ihr totenbleiches Gesicht sah. „Was ist?“
„Mein Kreislauf, ich klappe gleich ab. Ich muss unbedingt was essen.“
Jens zog sie weiter. „Wir sind gleich im Wald, dann ist die Sonne weg und Wasser gibt es hoffentlich auch.“
Reichlich Unterholz erschwerte das Vorankommen, Haselsträucher, Himbeerbüsche und anderes Kraut wand sich um ihre Füße und hielt sie fest. Bis zu der ersten Bäumen war es nicht mehr weit.
„Wenn ich es nicht schaffe, holst du allein Hilfe, ja?“ Sandra sah ihn bittend an. „Ich glaube, ich breche gleich zusammen, ich bin einfach am Ende.“
„Reiß dich am Riemen“, fluchte Jens. „Ich brauche dich zum Durchhalten, wir schaffen das. Da vorn ist schon der beschissene Wald.“
Sandra lachte energielos auf. „Es ist kurios, der Unsportlichste von uns hält am Längsten durch. In dir steckt viel mehr, als du denkst. Hier zeigen sich die inneren Werte, die innere Stärke.“
„Ach, halt die Klappe und spar dir die Kraft. Los, weiter.“ Jens streichelte Sandras struppiges Haar, nahm sie am Arm und zog sie voran. Er spürte, dass er sich seit dem Vortag verändert hatte und sich weiter veränderte und es war ein gutes Gefühl. Sandras Worte verstärkten dieses Gefühl noch. Aber jetzt war keine Zeit, sich damit zu befassen oder darüber nachzudenken, sie mussten erst überleben.
Kiefern, Fichten und eine einzelne Eiche ragten vor ihnen auf, sie drangen in das Wäldchen ein. Gleich lief es sich besser. Der Boden war weich, Humus, Blätter und Nadeln bedeckten den Fels, nur hier und da ragten Steine oder Felsspitzen hervor. Manchmal schmatzte es beim Gehen, es war feucht, fast nass, aber Wasser entdeckten sie keins. Jetzt überwogen Laubbäume und das Unterholz wurde dichter. Gestrüpp, junge Bäume und Kraut am Boden behinderte sie, zwang zu Umwegen und versperrte die Sicht. Jens hatte Mühe, eine halbwegs gerade Richtung beizubehalten.
Plötzlich raschelte es hinter einem Busch, etwas Großes bewegte sich dort. Ein altes, verhutzeltes Weiblein mit weitem Rock und Kopftuch fuhr zu ihnen herum. Sie hielt einen Korb in der Hand und sah aus wie die Hexe aus Grimms Märchen. Ihre Augen weiteten sich und entsetzt schrie sie auf, als sie die zwei zerlumpten, verschmutzten und blutigen Gestalten auf sich zutaumeln sah.
„Madonna mia“ kam aus ihrem zahnlosen Mund, sie ließ den Korb fallen, aus dem ein paar Beeren kullerten und lief schreiend und panisch mit den Armen rudernd weg. Der Anblick von Sandra und Jens musste ihr einen Riesenschrecken eingejagt haben.
„Meine Güte!“, Jens hatte sich auch mächtig erschreckt. „Wo kam die denn auf einmal her?“
„Sie kann uns doch helfen, oder?“
Jens sah nach rechts, wo die Alte verschwunden war, er konnte nichts mehr von ihr sehen. „Die ist weg, verdammt. Naja, wie hätte sie uns auch helfen können. Denkst du, die hatte ein Handy dabei?“
Er bückte sich ächzend und sammelte die wenigen Beeren ein. Es waren Heidelbeeren, die er mit Sandra teilte. Sonst waren im Korb nur Kräuter gewesen.
„Komm weiter, wir haben es gleich geschafft.“
Als sie zwischen den letzten Bäumen hervortraten, waren sie weit vom Weg entfernt, den sie mit dem Auto fuhren. Damals? Jens kam es vor, als waren seitdem Wochen vergangen. Jetzt, zum Abend hin, klarte es auf, doch die Sonne war schon wieder hinter den Bergen verschwunden. Der Himmel färbte sich langsam orange. Sie näherten sich von einer anderen Seite her dem Talkessel mit den Häusern der Angestellten und der Pension und hielten auf die Brücke zu, die den Fluss überspannte. Dahinter standen auf dem Parkplatz Autos. Ein junges Paar mit zwei Kindern schien gerade angekommen zu sein und lud die Koffer aus ihrem Wagen. Weitere Personen sahen Jens und Sandra nicht.
Jens wollte gerade sagen, dass sie es geschafft hatten, als ein Knall die Luft zerriss. Das konnte nur ihnen gelten. Schlagartig brach ihm der Schweiß aus und in der Brust meldete sich ein stechender Schmerz. Hastig schaute er sich um. In einigen hundert Metern Entfernung sah es am Waldrand eine Gestalt stehen, die mit einem Gewehr in ihre Richtung zielte. Der Schütze war nicht allein, neben ihm befand sich eine weitere Person, die kleiner war. Sie gestikulierte wild und schien erregt auf den Schützen einzureden. Jens kniff die Augen
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