Alpengold (German Edition)
Fitnessstudio besuchte, wirkte sein Gesicht kantiger, männlicher und erwachsener. So sah er nicht nur aus, so fühlte er sich auch.
Bevor seine Mutter noch einmal rief, eilte er ins Wohnzimmer und setzte sich. Es gab Kasselerbraten, bei ihnen wurde abends reichlich und warm gegessen, darauf legte sein Herr Vater großen Wert. Beim Essen drehte sich wie immer das Gespräch um die Arbeit.
„Heute haben wir gut geschafft, was? Morgen brauche ich dich beim Reifenwechsel, mein Junge. Der Meier hat sich zum Feierabend endlich gemeldet, er ist krank geschrieben und fällt ein paar Tage aus.“ Wohlwollend fiel sein Blick auf Jens‘ Hände, so mussten Arbeiterhände aussehen, schienen seine Augen zu sagen.
Mein Junge! Jens entgegnete nichts, er nickte nur. Als er den letzten Bissen im Mund hatte, klingelte das Telefon. Er sprang auf, nahm den Hörer ab und meldete sich kauend mit „Hm?“.
„Jens? Bist du das? Da bin ich aber froh.“
Das Blut wich ihm aus dem Gesicht, Jens musste mehrmals schlucken, um das Stück Fleisch an dem Kloß, der ihm plötzlich im Hals saß, vorbei zu bekommen.
„Tina? Was ... Wo ... Woher hast du meine Nummer?“ Etwas Klügeres fiel ihm nicht ein.
„Telefonbuch. Hör‘ zu, mein Guthaben ist gleich alle, aber Sandra hat ja meine Handynummer, lass sie dir geben. Ich hab‘ kein Geld mehr, aber erreichbar bin ich auch ohne Guthaben. Ich brauche deine Hilfe, Jens, hörst du? Es war alles schrecklich damals und es tut mir so leid. Ich wusste nicht, was mein Vater vorhatte, ehrlich. Wir wollten nur das Gold nehmen und nichts weiter, euch sollte nichts passieren. Aber Paps ist völlig durchgedreht. Er hat schon wieder jemanden bedroht und will ihn umbringen. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Ich dachte, ich bekomme ihn zur Vernunft, aber das geht nicht. Er hat sich völlig verändert und hört nicht auf mich. Und er ist so aggressiv geworden, so gewalttätig, schon seit, na, dem Trip. Alles fing mit dem Jäger an ...“, sie brach ab und nach einem Schluchzer sprach sie schnell weiter. „Hol‘ mich hier weg, ich will nicht mehr mit dem Irren zusammen sein. Er macht mir Angst, jeden Tag mehr. Ich kann nicht weg, habe kein Geld mehr, kann mir keine Fahrkarte kaufen. Er hält mich an der kurzen Leine, hat mir auch meinen Ausweis weggenommen. Hilf mir, Jens, bitte. Denk an den Kuss, den ich dir an jenem Abend im Camp gab. Da waren Gefühle im Spiel, das war echt!“
Tina hatte die Sätze schnell und kaum verständlich herausgesprudelt. Mit dem Hörer in der Hand stand Jens da und wusste nicht, was er sagen sollte. Tausend Gedanken vermengten sich in seinem Verstand zu einem grauen Brei. Damals, sagte sie. Damals? Es war doch erst drei Monate her!
„Jens?“
„Wo bist du?“, brachte er endlich heraus.
„In Saint-Tropez. Kommst du? Hilf mir bitte und hole mich ab! Oh, ich glaube, das Guthaben ist ...“
Das Besetztzeichen piepte in Jens‘ Ohr und nur langsam erreichte ihn die Frage seiner Mutter, wer denn dran sei.
„Was? Ich muss ... äh ... Eine alte Studienfreundin. Ich, äh, gehe auf mein Zimmer.“
„Du bist so bleich wie der Tod, was ist denn los?“
„Nichts ...“
Mit beinahe vierundzwanzig Jahren noch bei den Eltern zu wohnen, störte ihn nicht. Nervig hatte er nur die weite Entfernung von Marzahn zur Uni in Dahlem empfunden, einmal quer durch Berlin. Aber das gehörte der Vergangenheit an. Vaters Werkstatt in Mahlsdorf erreichte er spielend in einer halben Stunde. Jens warf sich aufs Bett und die Erinnerungen an Ereignisse, die erst drei Monate zurücklagen, die er aber in den hintersten Winkel seines Kopfes verbannt hatte, schoben sich gewaltsam wieder in den Vordergrund und erfüllten sein Denken.
Im Juli war es gewesen, als er noch an der Freien Universität Dahlem studiert hatte und die Welt für ihn noch halbwegs in Ordnung erschienen war. Er kam im Studium voran, war unerwidert verliebt und hatte keine Freunde, aber es hätte schlimmer sein können. Nach einer Vorlesung bekam er mit, wie Mark und Stefan miteinander redeten. Mark und Stefan! Ihm war zum Heulen zumute.
Mark sprach davon, ein Buch entdeckt und im Internet Berichte über Goldfunde in den Alpen gefunden zu haben. Erst vor zehn Jahren waren dort in einem Bergmassiv Dutzende Kilogramm Gold gefunden worden, die seit beinahe hundert Jahren in einer alten, stillgelegten Mine darauf warteten, gefunden zu werden. Von diesen Minen bei Brusson in Norditalien handelte das Buch, in dem geschrieben
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