Alpengrollen: Kriminalroman
Treppe hinunter. Als sie fast beim Ausgang angekommen war, hörte sie plötzlich kleine, schnelle Schritte hinter sich. »Warte doch, Mama. Ich komme ja schon.« Sabine schwebte wie ein ferngesteuerter Rauschgoldengel auf sie zu. Anneliese zog ihr erleichtert aufatmend den Anorak über, lief mit ihr zum nächsten Taxistand und zerrte sie in den nächstbesten Wagen.
»Nach Sendling«, bat sie den langhaarigen älteren Fahrer mit letzter Kraft.
Dann blickte sie nur noch geradeaus. Zwischen den vorderen Kopfstützen zur Windschutzscheibe hinaus. Gott sei Dank. Das wäre geschafft, dachte sie. Der reine Wahnsinn das alles. Bin ich wirklich so schlimm? Halte ich die Zügel bei Sabine wirklich so straff?
»Der Bob Marley, der hat den Menschen auf ihrem spirituellen Weg geholfen«, murmelte Sabine noch einmal ihre tiefschürfende Erkenntnis von vorhin. Sie begann leise zu summen. Es klang nach ›No Woman, No Cry‹.
»Aha. Wie schön für ihn und für die Menschen.«
»Ja. Echt.« Sie lehnte ihren Kopf an Annelieses Schulter und schlief mit einem friedlichen Lächeln im Gesicht ein.
28
Sie hatte ihre Fesseln weiter gelockert. Unter starken Schmerzen zwar. Aber letztendlich war es ihr gelungen. Sie versuchte, ihre linke Hand herauszuziehen. Stöhnte dabei. Gab auf. Versuchte es erneut. Und schaffte es. Ihre Hände waren frei. Schnell griff sie auf ihren Kopf, um endlich das Dunkel um sie herum loszuwerden. Das Ding, das sie ihr umgebunden hatten, ließ sich jedoch nicht so einfach entfernen. Klebeband, dachte sie, als sie ihren Hals abtastete. Sie versuchte, das Ende zu erspüren. Irrte mit den Fingern immer wieder rund um ihren Hals herum. Stoppte. Hier war was. So etwas wie eine kleine Kante. Sie pulte mit dem Fingernagel daran. Erst von der falschen Seite aus. Dann von der richtigen. Bekam das Band zu fassen. Löste es. Packte ihre Kopfbedeckung. Zog sie weg. Und sah so gut wie nichts. Nur undeutliche Umrisse und Schatten.
Bin ich jetzt auch noch blind? Bevor sie sich ihre Frage beantworten konnte, entdeckte sie den schmalen Spalt, durch den das wenige Licht hereinschien. Da musste die Tür sein. Sie löste die Fesseln von ihren Füßen und begann, Arme und Beine zu reiben. Langsam, damit es nicht zu sehr wehtat. Dann wartete sie. Überlegte, was sie wohl am besten tun könnte. Laut um Hilfe schreien? Aber damit würde sie bestimmt die Aufmerksamkeit ihrer Peiniger auf sich lenken. Die waren sicher in der Nähe. Doch was dann? Sie könnte sich neben der Tür verstecken. Könnte versuchen, so schnell es nur ging davonzulaufen, wenn sie das nächste Mal geöffnet wurde. Aber so schwach, wie sie war, würden sie sie bestimmt gleich wieder einfangen. Also los, nächste Idee.
Erst mal Licht machen. Sie kroch schwerfällig zur Tür, um dort irgendwo den Schalter zu finden. Ertastete ihn. Drückte ihn nach unten gegen die Wand. Das grelle Licht traf ihre Augen wie ein Blitz. Sie schloss sie schnell, um sie erst nach einer Weile vorsichtig wieder zu öffnen. Jetzt konnte sie die Gegenstände erkennen, die hier abgestellt waren. Eine Schubkarre voller Müll und Schutt, Einmachgläser, Flaschen. Dann entdeckte sie in dem Durcheinander im hinteren Teil ihres Verlieses einen Hammer. Ein richtiger Hammer! Super. Jetzt weiß ich auch, was ich tun muss. Ich stelle mich neben die Tür. Und wenn dieser ekelhafte Typ wieder kommt, um mir mein Essen zu bringen, schlage ich ihm mit dem Hammer auf den Kopf. So fest ich nur kann. Und dann laufe ich davon und schreie laut um Hilfe. So mache ich es. Genau. Hoffentlich dauert es nicht zu lange, bis er wieder kommt. So richtig fit bin ich nicht. Am besten setze ich mich erst mal wieder hin. Bis ich seine Schritte höre.
29
20-mal mit dem großen Schlepplift und 15-mal mit dem kleinen. Das reicht für heute, beschloss Max und steuerte die Abfahrt zur Talstation in St. Johann an. Am Ende war doch noch etwas aus dem Tag geworden. Gleich nachdem Annie mittags Bescheid gegeben hatte, dass Sabine und sie soweit wohlauf wären, hatte sein Urlaub endlich begonnen. Keine nervenden Anrufe, keine Verpflichtungen, kein Partygetöse. Nur noch Skifahren pur. Genial. Aber Durst auf ein schönes Bier hätte ich ja schon, wenn ich wieder unten bin. Da war doch gleich unten beim Parkplatz dieses Après-Ski-Dings. Da schau ich gleich noch auf ein oder zwei Gläser rein. Zur Pension kann ich auch zu Fuß rübergehen. Die ist keine zehn Minuten entfernt. Genau. So wird’s gemacht. Ski, Skistiefel
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