Alphavampir
einen flauschigen Cashmere-Schal. Hatte er noch nicht gemerkt, dass der Schnee langsam in Regen überging, weil die Temperaturen selbst nachts kaum noch unter den Gefrierpunkt fielen? Immerhin war er der einzige von den sechsen, der keine Handschuhe anhatte. Nanouk erinnerte sich, dass er gesagt hatte, Vampire würden kaum Eigenwärme produzieren. Vermutlich froren sie sogar im Sommer. Oder Kristobal musste sich dringend nähren.
Nein, das konnte nicht zutreffen. Er war attraktiv wie eh und je. Nun, da Nanouk ihn im direkten Vergleich zu Radim, Jarek, Adamo und den zwei Frauen, die er als Mila und Rafaela vorstellte, sah, stellte sie fest, dass er bei weitem nicht so blass und ausgezehrt wie die anderen aussah. Seine Gesichtsfarbe war frischer, gesünder, seine Wangen voller, seine Schultern breiter und sein Körperbau kräftiger. Höchstwahrscheinlich bekam er als Alphavampir die meiste Nahrung. Das mochte seinen Teint erklären, nicht aber seine Statur.
Er war kein Muskelpaket wie Claw, aber gestählt auf eine athletische Weise. Seine Schultern waren nicht so breit, seine Taille schlanker, aber er war einen Kopf größer als der Alphawolf und wirkte ebenso kräftig, selbstbewusst und kampfbereit.
Auch Claw stellte seine Gefolgsleute vor. «Wieso ist Pavel nicht hier?»
«Wir sind Vampire, er ist ein Werwolf.» Das war eine nette Umschreibung dafür, dass Kristobal keinen Gestaltwandler neben sich duldete, wenn es darum ging, wichtige Entscheidungen zu treffen. Alle lasen die Botschaft zwischen den Zeilen heraus: Er begegnete keinem Lykanthropen auf Augenhöhe.
Als Kristobal Nanouk ansah, senkte sie kurz den Blick, damit er nicht in ihren Augen las, dass sie sich wünschte, es würde keine Rivalität zwischen ihnen bestehen. Außerdem verletzte seine Anspielung sie. Da ihre Wölfin gegen diese unterwürfige Haltung rebellierte, schaute Nanouk wieder auf, doch der Alphavampir beachtete sie längst nicht mehr.
«Es geht bei unserer Unterredung um ihn.» Vor Unverständnis schnaubte Claw.
Kristobal schlug sich sanft gegen den Brustkorb. «Pavel gehört zu meinen Leuten.»
«Das soll wohl heißen, dass du ihn zwingst, sich deiner Entscheidung zu beugen», knurrte der Alphawolf, während Canis und Nubilus sich wie zwei Bodyguards hinter ihm aufbauten. Er brauchte ihre Unterstützung nicht, aber sie beabsichtigten zu demonstrieren, dass sie hinter ihm standen und ihm den Rücken stärkten.
«Pavel hat sich mir unterworfen.» Kristobals Blick streifte Canis und Nubilus. Dann bekam seine Stimme einen süßlichen Klang. «Du weißt doch, wie das funktioniert, Alphawolf.»
«Das Rudel besteht nur aus Werwölfen. Bei uns geht es um die Rangfolge. Aber ihr seid Vampire.» Claw schaute einen Blutsauger nach dem anderen an.
«Hierarchien findest du sogar bei den Menschen», ließ Kristobal lapidar fallen und gab damit zu, dass es bei den Blutsaugern ähnliche Strukturen wie im Rudel gab.
«Wieso klingt das bei dir eher, als würdest du dir ein Schoßhündchen halten?» Claw wurde von Kristobals Lachen unterbrochen. Der Alphawolf ging einen Schritt auf ihn zu. «Du duldest Pavel nur, akzeptierst ihn aber nicht.»
Kristobal lockerte seinen Schal. «Er trägt keine Kette um seinen Hals und kann gehen, wann immer er möchte.»
«Pavel muss unter deinem vampirischen Einfluss stehen», wetterte Claw. Die Unsicherheit, die in seinen Augen flackerte, war so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Auch er konnte ein Opfer von Kristobals übernatürlicher Gabe werden. «Kein Werwolf würde sich freiwillig öffentlich verwandeln. Das ist zu riskant!»
«Und erniedrigend, meinst du wohl.» Kristobal schmunzelte diabolisch, da Claw jedoch auf seine Provokation nicht einging, fuhr er fort: «Er steht hinter einer Papierwand, so dass das Publikum denkt, die Verwandlung wäre eine Illusion.»
«Irgendwer wird dahinterkommen», sagte Claw allgemein, um Matt Jerkins nicht in Lebensgefahr zu bringen, «und dann werden sie sich auf die Suche nach weiteren Werwölfen machen. Apropos weitere Gestaltwandler, ich muss mich mit Pavel über sie unterhalten, egal ob dir das passt oder nicht.»
Radims Gesichteszüge entglitten. Stirnrunzelnd sah er seinen Alpha von der Seite an.
Dieser schüttelte den Kopf. «Es gibt keine.»
«Aber du hast ...», begann Nanouk.
Gereizt unterbrach Kristobal sie. «Er ist der einzige, dem wir begegnet sind.»
Canis lupfte einen Stein, der scheppernd gegen eine der unteren Kühlschranktüren
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