Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alphawolf

Titel: Alphawolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Henke
Vom Netzwerk:
der Reihe nach.» Er drehte sich um und gab Rufus ein Zeichen.
    Der Junge stand auf. In seinen Blue Jeans, die so locker auf seinen Hüftenknochen hingen, dass Tala befürchtete, die Hose würde bei der nächsten Bewegung herunterrutschen, und der nachtblauen Daunenjacke sah er älter aus als nackt in der Nacht zuvor. Sein Teint war auch nicht mehr so blass. Dennoch zeichnete sich das Feuermal auf seiner Wange ab. Tala konnte nicht anders, als es zu betrachten.
    Es erinnerte sie an ein Kainsmal. Ihr Vater, ein gläubiger Katholik, hatte Tala zwar nicht taufen lassen, auch aus Respekt vor den Athabascan, aber in den Religionsunterricht geschickt, damit sie später selbst wählen konnte, welcher Religion sie angehören wollte. Sie erinnerte sich nur wage an die Geschichte vom Brudermord, aber das reichte, um ihre Bedenken erneut aufflammen zu lassen.
    Nachdem Kain seinen Bruder Abel erschlagen hatte, zeichnete Gott ihn, anstatt ihn zu richten. Damit wollte er verhindern, dass man ihn lynchte, so hieß es im alten Testament. Anhand des Kainsmals erkannten alle den Mörder, aber das Zeichen schützte ihn auch vor Rache. Kain war somit der Bibel nach der erste Mörder auf Erden.
    War Rufus nicht so harmlos, wie er erschien? Vielleicht sogar ein Killer? Möglicherweise war die Bande um Claw nur hinter einem armen entstellten Menschen her, der von oben bis unten stark behaart war, und die Werwolf-Story nur Verschleierungstaktik.
    «Weshalb ziehst du dich aus?», fragte sie den Jungen.
    Er stand mittlerweile mit dem Rücken zu ihr, halb verdeckt vom Sessel. Über die Schulter hinweg sah er sie an. «Damit ich meine Kleidung nicht zerreiße.» Unbeirrt fuhr er fort, sich zu entkleiden.
    «Natürlich», murmelte Tala und änderte ihre Meinung auf einmal. Sollten die beiden nur versuchen, ihr Spiel mit ihr zu treiben. Weit würden sie mit dieser Farce nicht kommen. Spätestens wenn es zum Höhepunkt – dem Gestaltwandel – kam, würde die Wahrheit ans Licht kommen. Welche Ausrede würde Claw ihr dann auftischen?
    Sie nahm schließlich doch einen Schluck Wein, um ihre Nerven zu beruhigen. «Das Feuermal könnte man chirurgisch entfernen lassen.»
    «Das brauche ich nicht», antwortete er, ohne sich umzudrehen. «Wenn ich ein Wolf bin, ist es unsichtbar, weil es von Fell bedeckt wird.»
    «Dann ist deine Wolfsgestalt dir wichtiger?», fragte sie erstaunt und stellte ihr Glas auf dem Couchtisch ab.
    Er nickte, was Tala vermuten ließ, dass er schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht hatte. Mitleid regte sich in ihr. Was war ihm zugestoßen, dass er sich in die Illusion flüchtete, ein Wolf werden zu können, wann immer er wollte?
    Ihre Stimme troff vor Trotz und Sarkasmus, als sie sich an Claw wandte: «Dann ist die Wandlung nicht an Vollmondnächte gebunden?»
    «Das ist genauso ein Unsinn, wie dass wir nur durch Silberkugeln getötet werden können. Oder hätte ich dir das besser nicht sagen sollen?» Schmunzelnd neigte er sich vor. Sein Blick klebte an ihren Lippen. Das Lächeln milderte seine harten Gesichtszüge keineswegs. Es machte ihn anziehender, aber keineswegs weicher. «Wir sind nicht unsterblich, aber unsere Lebenszeit verlängert sich, als würde das Tier uns Kraft schenken. Unsere Gestalt können wir wechseln, wann wir wollen, aber wenn diese Wandlung an eine starke emotionale Erregung gekoppelt ist, beschleunigt das den Prozess.»
    Tala wollte nicht wissen, ob Sex auch dazugehörte. Wieso dachte sie überhaupt daran? Du bist unmöglich, Tala Cocoon, rügte sie sich und meinte wieder Pheromone wahrzunehmen. Jedoch waren es diesmal ihre eigenen.
    «Allerdings fordert das Tier in uns seinen Tribut», fuhr er fort. Sein Kiefer mahlte. «Es zwingt uns dazu, regelmäßig seine Gestalt anzunehmen. Wir brauchen den Wolf in uns, wie der Wolf uns braucht. Er ist Segen und Fluch zugleich. Geißel und Erlösung.»
    Rufus stieg aus seiner Jeans und warf sie einfach auf den Boden.
    Auch Werwolf-Jungen sind nur Teenager, dachte Tala und vermied es zu grinsen. Sie spürte erneut den leichten Kopfschmerz, weil ihre Gedanken durch die neuen Informationen wieder Purzelbäume schlugen. Langsam bekam sie Angst, weil sowohl Claw als auch Rufus derart überzeugt von ihrem zweiten Gesicht – das des Werwolfs – waren, dass neue Zweifel in Tala aufkeimten.
    Es stand zwei zu eins. Bedeutete das nicht, dass die Männer Recht hatten?
    Der Junge war mittlerweile nackt und schien nur auf einen Befehl von Claw zu warten. Das erste Mal

Weitere Kostenlose Bücher