Alptraum in Atlantis
nichts. Er hält alles unter Verschluss, denn die Wahrheit ist zu schrecklich.«
»Kann ich sie irgendwo finden? Ist sie niedergeschrieben worden?«
»Im Buch der grausamen Träume steht es zu lesen. Aber du wirst es nicht bekommen, weil dein Gehirn sich weigern wird, das Unglaubliche zu fassen…«
Der Engel sprach vom Buch der grausamen Träume. Wieder ein Begriff, den ich sehr gut kannte. Ich hatte es schon gesehen, denn aus den für mich allein bestimmten letzten Seiten war der Bumerang entstanden.
Gern hätte ich das Buch in meinem Besitz gewusst. Es war mir nicht vergönnt gewesen. Nun erfuhr ich den Grund. Dafür hatte ich erst zehntausend Jahre in die Vergangenheit reisen müssen.
Welch eine Verbindung! Ich kam mir vor wie eingeschlossen in dem gewaltigen Kreislauf der Welt.
Anfang und Ende – Alpha und Omega. Sollte ich je alles begreifen lernen?
»Du denkst zuviel nach«, hörte ich die Stimme des Eisernen Engels.
»Konzentriere dich lieber auf die Zukunft, auf deine Aufgabe hier auf dem sterbenden Kontinent.«
Ich nickte. »Natürlich, verzeih, aber ich musste das erst alles schlucken.«
»Ich kann dich verstehen.«
»Und wie soll es jetzt weitergehen?« fragte ich.
»Wir werden dich in das Tal der schweigenden Steine begleiten«, erklärte mir der Eiserne Engel. »Ich hoffe, dass du es noch vor dem Untergang schaffst.«
Ich nickte. Mehr war nicht zu sagen. Aber auch das Gehörte machte mich unruhig genug. Mir zitterten jetzt noch die Knie, als ich daran dachte, diesen Todessumpf durchqueren zu müssen.
War der Schwarze Tod tatsächlich dort geboren? Oder war der Sumpf nur die Geburtsstätte der Monster?
Ich wusste es nicht und verließ mich völlig auf meinen Freund und Retter, den Eisernen Engel.
Leicht wie Federn, so stießen sich die Vogelmenschen vom Boden ab und schwangen sich in die Luft. Sie glitten dem Ausgang zu und wurden vom Dunkel der Nacht verschluckt.
Erst jetzt sah ich, dass auch sie bewaffnet waren. Sie trugen mit Pfeilen gefüllte Köcher auf ihren Rücken, und die dazugehörigen Bögen spannten sich um ihre Schultern.
»Komm«, sagte der Eiserne Engel nur und fasste mich bei der Hand.
Wieder wurde ich hochgehoben.
Durch das große Tor schwebten wir hinaus in die Nacht. Er hatte mich wieder unter seinen Arm geklemmt, und ich kam mir wie ein lebendes Paket vor.
Kaum hatten wir die Höhle verlassen, als ein dumpfes Grollen über die Ebene rollte.
Erschreckt stieg selbst der Eiserne Engel höher, drehte sich, und wie auch ich sah er, dass die Steine, diese riesenhaften Gebilde, leicht schwankten.
Atlantis bebte.
Der Anfang vom Ende war nahe, das spürten auch die Vogelmenschen.
Ich bewunderte sie.
Sie wussten, dass sie dem Untergang nicht mehr entgehen konnten, dass sie sterben würden, und trotzdem halfen sie mir. So etwas fand man nicht oft, sie warfen ihr Leben in die Waagschale…
»Fliegen wir!« rief der Eiserne Engel. »Vielleicht sehen wir die Felsen nie mehr wieder. Kommt, Freunde…«
Unser Flug wurde schneller, und wir näherten uns den Bergen jetzt von der anderen Seite.
Sie lagen nicht mehr still.
Wie ein Feuerwerk sprühte es aus einem Vulkankrater. Glühende Lavabrocken, himmelan geschleudert, von einem mächtigen Donnern begleitet. Und plötzlich verschwand die Hälfte des Berges. Sie brach auseinander, als hätte jemand dagegengeschlagen.
Der Untergang begann.
Wieder färbte sich der Himmel blutrot, und wir jagten dem Inferno entgegen. Würde es mir noch gelingen, den Spiegel zu erbeuten? Wenn ja, hatte ich viel gewonnen, aber dann war ich noch immer nicht in meiner Zeit zurück.
Und wo befand sich Myxin?
Was war mit seinem Körper geschehen, als er in die Vergangenheit geschleudert war und sich selbst dort gesehen hatte? Oder war sein Körper aufgelöst worden, so dass nur einer noch bestand?
Auf diese Frage würde ich wohl nie eine Antwort finden. Sie war einfach zu schwer.
Die Ebene verschwand. Schon lagen unter uns die tiefen Täler und finsteren Schluchten. Canyons, düster und drohend. Eine Brutstätte des Schreckens.
Beißender Rauch trieb manchmal um unsere Körper. Die Vogelmenschen flogen parallel zu dem Eisernen Engel und mir. Sie ließen ihn keinen Moment aus den Augen. Wir glitten über eine kochende Hölle.
Manchmal hörte ich seltsame Geräusche und Schreie aus den Canyons.
Es wurde immer schlimmer.
Weiter vor uns schoss abermals eine Lavafontäne in den Himmel. Ich wollte sie noch beobachten, was dann nicht mehr
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