Alptraum in Pink
Rücken an die Wand gelehnt. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesichtsausdruck verklärt. Langsam grub sie sich die Fingernägel in die Wangen und zog sie ruckartig wieder heraus. Blut rann auf ihre beige Bluse. Ich ging an ihr vorbei und erreichte den Haupteingang. Da draußen lag die Welt, hinter hohen Glastüren, ein freundlicher, kühler Morgen. Ein Mann auf allen vieren versuchte, mit dem Kopf durch die Tür zu rammen, nahm erneut Anlauf und hechtete vorwärts, immer wieder, wie eine starrköpfige Schildkröte in einer Schachtel. Ein Mädchen saß breitbeinig am Boden, die Bluse hing in Fetzen an ihr herunter, sie sah mich ausdruckslos an, lutschte am Daumen und massierte langsam ihre kleinen, nackten Brüste.
Vor dem Haupteingang lag völlig reglos ein Mann. Ich stieg über ihn. Ich hörte Sirenen und sah Krankenwagen heranfahren. Leute rannten in das Gebäude und beachteten mich nicht. Ich entdeckte den Parkplatz und ging zielstrebig darauf zu.
Rechts von mir sah ich eine fette Frau immer wieder in einem weiten Kreis herumrennen, als ob sie auf einer imaginären Aschenbahn laufen würde. Ein großer Wagen kam auf den Parkplatz gefahren, als ich gerade dort ankam. Der Fahrer zog heftig die Bremse an und stieg aus: »Was zum Teufel ist denn hier los?«, wollte er wissen. »Was geht da drin vor sich?«
Ich drehte ihn um und schlug ihm mit meinem Rohrstück hinter das Ohr. Als er zu Boden ging, fielen ihm die Autoschlüssel aus der Hand. Ich schälte ihn aus seinem Mantel und zog ihn an. Ich nahm den Wagen und fuhr davon. Fünfzehn Minuten später war ich auf der Hauptstraße in südlicher Richtung unterwegs in die Stadt. Zwanzig Minuten später fingen die Straßenränder an, sich aufzurollen und pink zu färben. Auch die sphärischen Klänge waren wieder da. Ich musste anhalten. Doch der Wagen bewegte sich kaum. Es dauerte zwanzig Minuten, bis ich den Straßenrand erreichte. Auf dem Seitenstreifen hüpfte die Karre auf und ab, und ich konnte sie erst kurz vor einem Baum zum Stehen bringen. Ich legte mich auf den Sitz und verschränkte die Arme über dem Kopf. Mein eigenes Gesicht schmolz dahin, das konnte ich spüren. Ich hörte, wie es auf das Sitzpolster tropfte.
Einige Monate später verfestigte sich die Welt wieder, und ich konnte weiterfahren.
Ich nahm die Abfahrt an der 46. Straße. Ich fuhr über die 44. Straße und ließ den Wagen ein paar Häuserblocks vom Times Square entfernt stehen. Ich ging zu Fuß Richtung Süden, fand ein heruntergekommenes Hotel und bezahlte fünf Dollar fünfzig für ein übel riechendes, kleines Zimmer. Ich streckte mich auf dem Bett aus, immer noch in dem gestohlenen Mantel, und wartete darauf, dass alles wieder anfing, sich an den Rändern pink zu färben. Ich hatte auf die Uhr in der Eingangshalle gesehen. Es war viertel nach zehn. Ich fragte mich, welches Jahr wir hatten.
Zwölf
Eigentlich sollte man aus seinen Fehlern lernen. Ich war in die Geschichte mit Armister so sorglos und selbstsicher hineingestolpert wie eine einäugige Maus in die Schlangengrube auf der Suche nach einem Stück Käse.
Mit allerletzter Not war ich ihnen entwischt, was mich höchstwahrscheinlich davor bewahrt hatte, den Rest meines Lebens als ein ganz glücklicher Bursche zu verbringen, vielleicht als Arbeiter in einer Schuhfabrik in Jersey drüben.
Ich musste irgendetwas unternehmen, aber alles, was mir einfiel, machte mir Angst. Die Gruppe um Mulligan hatte jede Menge Einfluss und Macht. Ich war ein ausgebrochener Psychopath. Ein nachweisbar geisteskranker Mörder. Außerdem konnte ich nichts beweisen.
Charlie war mein einziger lebender Beweis. Charlie musste mir helfen. Aber ich sah keine Möglichkeit, auch nur auf dreihundert Meter an ihn heranzukommen.
Aber vielleicht schaffte das jemand anderer, der genügend Informationen hatte?
Eine liebende Gattin vielleicht?
Ich griff nach dem Telefon. Eine dünne, gequetschte Stimme sagte: »Wenn Sie telefonieren wollen, müssen Sie am Empfang bezahlen. Jedes Ortsgespräch zwanzig Cents.«
Ich ging vorsichtig nach unten, hinterlegte einen Dollar und schaffte es wieder hoch in meinen sicheren Zufluchtsort. Dann wurde mir schlagartig bewusst, wie dumm ich war. Ich hatte viel zu viele Fehler gemacht. Ich wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser und betrachtete mein Antlitz im Spiegel ganz genau. Die Augen sahen komisch aus. Bei zugeknöpftem Mantel konnte man den weißen Kittel nicht sehen. Ich hatte Bartstoppeln, die einen Tag alt waren.
Weitere Kostenlose Bücher