Alptraum-Sommer
Stirn und nickte schließlich.
»Sie wissen viel, Mr. Sinclair. Sie sind der erste Fremde, der mir diesen Namen nennen konnte.«
»Das dachte ich mir.«
»Dann hat man Sie geschickt!«
»Stimmt.«
O’Hara hustete, räusperte sich dann und hob die Schultern. »Trotz allem halte ich Sie für einen intelligenten Menschen, Mr. Sinclair. Ich meine, wir stehen ja auf verschiedenen Seiten. Und ich wundere mich darüber, daß Sie überhaupt gekommen sind, wenn Sie doch wußten, daß es hier auch um den Hüter der Natur geht.«
»Vielleicht bin ich gerade deshalb gekommen!«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Noch nie gewann ein Mensch gegen Mandragoro. Auch die drei anderen haben es versucht. Es gibt sie nicht mehr.«
»Brachte er sie um?«
»Mehr oder weniger«, gab der Mann zu. »Er sorgte dafür, daß der Wald Humus bekam. Menschen sind organisch. Sie… verfaulen, sie werden wieder eins mit der Natur.«
»Und ihr Blut?«
»Das überließ man mir.«
Ich war doch leicht geschockt über dieses Geständnis. O’Hara fühlte sich verdammt sicher, obwohl Mandragoro sich nicht in seiner unmittelbaren Nähe aufhielt. Ich kannte erst einen Teil der Wahrheit, denn ich ging davon aus, daß die Alraunen und auch der kleine Kelly noch eine wichtige Rolle spielten.
»Es haben sich natürlich weitere Fragen gebildet. Darf ich Sie stellen, Mr. O’Hara?«
»Ich bitte darum.«
»Da man Sie beim besten Willen nicht als einen Vampir bezeichnen kann, der Menschenblut braucht, um sein untotes Leben fortführen zu können, für was haben Sie dann das Blut der drei Männer genommen? Sie haben es doch sicherlich nicht gesammelt?«
»Das stimmt.«
»Wozu brauchten Sie es?«
Über das Gesicht des Mannes glitt ein wissendes und zugleich stolzes Lächeln. »Ich benötigte es für meine kleinen Freunde. Sie verstehen, Mr. Sinclair?«
»Für die Alraunen?«
»Treffer.«
Ich schaute ihn an. Er lächelte noch immer. Er war siegessicher. Er verließ sich auf die Kraft eines mächtigen Helfers im Hintergrund. »Sie benötigten es dringend, glauben Sie mir.«
»Darf ich denn den genauen Grund erfahren?«
»Wie Sie wollen. Sie wissen, daß die Menschen früher von der Zauberkraft der Alraunen gesprochen haben. Man hat sie als Beschützer in die Häuser genommen. Ich will das alles nicht wiederholen. Ich gebe auch zu, daß es in den meisten Fällen auf reinem Aberglauben basierte, wie gesagt, in den meisten Fällen. Es gab auch Ausnahmen, Mr. Sinclair, und mit diesen Ausnahmen habe ich mich beschäftigt. Meine Freunde, die Alraunen, sehen so tot aus. Ein Teil des Wurzelstücks eines Baumes, leblos, aber trotzdem mit einer gewissen Kraft bestückt, vorausgesetzt, sie befinden sich in Mandragoros Nähe, dem Vater der Natur. Denn sie wurden ja Mandragora genannt, es gibt dort also gewisse Übereinstimmung, wie Sie erkennen können. Aber die Kraft reichte nicht. Man mußte sie aktivieren, und zusammen mit der des mächtigen Walddämons sind sie dann so gut wie unbesiegbar geworden.«
»Gaben Sie Ihren Geschöpfen das Blut der Menschen?«
»Ja, Mr. Sinclair!«
Nun ja, ich wußte Bescheid. Was ich hier erfahren hatte, glich einem gewissen Vampirismus. Es war also einfach. Durch Menschenblut wurde die latente magische Kraft der Alraunen aktiviert. Es verwandelte sie in gewisse Lebewesen, die streng auf der Seite des Umwelt-Dämons Mandragoro standen.
O’Hara lachte. »Was geht Ihnen jetzt durch den Kopf?« flüsterte er mir zu.
»Ich habe den Faden gefunden.«
»Dann glauben Sie an meine Blutinjektionen.«
»In der Tat.«
Er hob den Balg hoch. »Können Sie sich vorstellen, daß ich sie infiziert habe?«
»Immer.«
»Aber Sie haben recht, Mr. Sinclair, es gibt das Blut. Ich bewahre es auf. Es befindet sich in dem Trog, den sie so oft angeschaut haben. Das Blut dreier Menschen. Und ich will Ihnen sagen, daß ich einige meiner kleinen Freunde infiziert habe. Ich brachte sie dann in die richtige Umgebung, wo sie ihrer wahren Aufgabe nachkommen können.«
»In den Wald zu Mandragoro?«
»Exakt. Er wartete auf sie.«
»Und was taten sie dort?«
O’Hara lächelte versonnen. »Er hat sie zu seinen Wächtern gemacht. Sie beschützen den Wald und dessen Freunde.«
»Zu denen Sie ebenfalls gehören?«
»Ja, ich bin akzeptiert«, erklärte er mit fester Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Und ich bin auch stolz darauf, das sollte Ihnen klar sein.«
»Ist es auch Ihr Enkel?«
O’Hara seufzte schwer und verzog die Lippen.
Weitere Kostenlose Bücher