Alraunes Todeskuß
›verbotenen Bücher‹. Schriften aus älterer Zeit, in denen über heilende und tödliche Kräfte verschiedener Pflanzen berichtet wurde.
Er war nicht nur bis an die Grenze gegangen, sondern auch darüber hinweggetreten. Mochte er auch davon profitiert haben, noch stärker war der Profit für die Alraune gewesen, denn in ihr steckte jetzt das Wissen eines Menschen.
Sie lächelte, als sie daran dachte, wie sie von ihm gefunden worden war.
Jahrelang war er ihrer Spur gefolgt. In einem versteckten Tal in den Pyrenäen hatte er schließlich Glück gehabt. Da war er auf ein Feld mit Alraunenwurzeln gestoßen. Er hatte sie mitgenommen, und er hatte sich genau an das alte magische Rezept gehalten.
Er hatte sie in einem Mörser zerrieben, bis sie nur noch Staub gewesen war. Dann hatte er etwas Wasser und den Saft der Tollkirsche dazugegeben und hatte die alten Formeln aus der Keltenzeit gesprochen. Danach hatte er den Brei getrunken.
Sie war in ihm entstanden, jetzt war er tot, sie aber lebte. Mit all den menschlichen Vorzügen und ihren magischen.
Daß es allerdings für ihn so enden würde, damit hatte Pietro nicht gerechnet. Sie hatte sich in seine Kehle gedrängt, und er war qualvoll erstickt.
Das spielte für sie keine Rölje, denn positive menschliche Gefühle steckten nicht in ihr. Jetzt wartete sie auf das nächste Opfer. Pietros Informationen hatte sie gespeichert. Die Alraune war mit dem Wissen prall gefüllt, und sie würde es auch ausnutzen.
Der letzte Kuß war wieder ein guter Test gewesen. Sie hatte erlebt, wie der junge Mann seine Visionen in Taten umsetzte, und sie war sicher, daß ihm viele andere folgen würde. Mit Maria Anzaro wollte sie beginnen. Sie würde besonders schreckliche Qualen erleiden, das hatte sich die Alraune vorgenommen.
Sie wußte auch, wo sie Maria finden konnte. Die Frau arbeitete als Tänzerin in einem spanischen Club, und den hatte sich die Alraune als Ziel ausgesucht, wobei sie noch darüber nachdachte, ob sie nicht mehrere Küsse verteilen sollte. Wenn sich Gäste oder Bedienstete des Clubs gegenseitig angriffen und die Umgebung in eine Hölle verwandelten, würde sie sich über das Blutbad freuen.
Gesehen hatte sie niemand.
Es war ihr gelungen, unerkannt aus dem Wagen zu entkommen, und nun irrte sie durch London.
Sie wußte, wo sie den Club finden konnte. In Soho. Es war nicht sehr weit bis dorthin. Niemand sah sie.
Das kleine Wesen verstand es hervorragend, sich zu verstecken.
Stunden hatte sie Zeit, um auf ihren kleinen Beinen das Ziel zu erreichen. Obwohl sie selbst viele Menschen sah, hielt sie sich mit einem ihrer Küsse zurück. Es waren schon genug Spuren gelegt worden, sie wollte es nicht übertreiben.
Als ihr Ziel für einen normal großen Menschen nur noch wenige Gehminuten entfernt lag, verbarg sich die Alraune unter einem Treppenabsatz. Sie wollte sich ausruhen, vielleicht sogar etwas schlafen, denn sie war sicher, von einem Menschen nicht entdeckt zu werden.
Die Zeit verstrich.
Sie hörte im Halbschlaf Stimmen, aber sie vernahm auch noch andere Laute. Das Tappen von Pfoten…
Die Alraune schreckte hoch. In ihre Rechnung hatte sich ein Fehler eingeschlichen. Von einem Menschen konnte sie kaum entdeckt werden, dafür von einem Tier, einem Hund oder einer Katze.
Was kam da?
Sie drehte ihren Kopf und schaute nach rechts unter dem Absatz der Treppe her.
Ein Tier schwarz wie die Nacht. Eben eine Katze, die etwas gewittert haben mußte.
Das Wesen rührte sich nicht. Wer es jetzt gesehen hätte, der hätte es für eine Steinfigur halten können, denn es bewegte sich nicht, abgesehen von den Haaren, mit denen der Wind spielte.
Die Katze schlich näher.
Geheuer war ihr nicht dabei. Der vor kurzem noch hochstehende Schwanz hatte sich gesenkt, berührte beinahe den Erdboden und zuckte von einer Seite zur anderen. Mit den grazilen Bewegungen eines Raubtieres kam sie näher.
Sie blieb so dicht vor der Alraune stehen, daß sie diese mit einem Hieb ihrer Pfote erwischt hätte. Das traute sie sich noch nicht. Aus ihren türkisfarben schimmernden Augen beobachtete sie die Alraune und wartete darauf, daß diese sich bewegte.
Sie tat es nicht.
Aber sie beobachtete das Tier, immer darauf bedacht, sofort zu handeln, wenn es nötig sein sollte.
Die schwarze Katze wußte nicht, was sie machen sollte. Noch beobachtete und schnupperte sie. Das Tier kam mit dieser Alraune einfach nicht zurecht, sie war ihr suspekt. Zudem strahlte das Wesen etwas ab, das die Katze
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