Alraunes Todeskuß
schwarze Hose, das weiße Rüschenhemd, das frisch gewaschen und gebügelt über dem Haken hing, und er griff auch zur roten Weste, die sein Outfit vervollständigte. So angezogen fühlte er sich schon wohler. Fehlten nur noch die Lackschuhe, die er hochnahm, den Staub wegblies und seine Arbeit mit einem kräftigen »Ole« beendete.
Dann zupfte er noch das Hemd und die Weste zurecht, griff nach dem Schlüsselbund und schloß die beiden hinteren Türen wieder ab.
Ungebetene Gäste sollten die Bar nicht betreten, und man wollte irgendwelchen Zechprellern auch keine Chance geben. Er war zufrieden.
Von seinen anderen Kollegen war noch keiner erschienen. Tommy schaltete das Radio aus und nahm eine an der Wand stehende, zusammengeklappte Liege weg. Er breitete sie auseinander und verzog das Gesicht, als er das Knacken des Metalls hörte.
Die Liege war so lang, daß sie soeben in den Raum hineinpaßte, ohne an die Wände zu kratzen. Das heißt, Platz war schon noch, aber man ärgerte sich eben über die engen Verhältnisse.
Tommy nickte.
Solange die Musiker noch nicht da waren, ging es ihm gut. Erst wenn die drei Kollegen sich umzogen, wurde es enger.
Er legte sich lang.
In diesem Augenblick fuhr die Zunge wieder wie ein schleimiger Schwamm aus dem Mund der Alraune hervor und bewegte sich um die Lippen herum.
Idealer konnte es für sie nicht kommen. Der Mann lag. Sie brauchte nur an die Liege heranzuschleichen, ein Sprung würde genügen, dann war sie an seinem Gesicht.
Der Kuß würde folgen.
Tommy fühlte sich wohl. Er hatte sich gestreckt und die Beine so weit gespreizt, wie es die Liege zuließ. Die Hände hatte er hinter seinem Kopf verschränkt, seine Augen waren gegen die Decke gerichtet, und Tommy spürte, wie er sich immer mehr entspannte. Er gehörte zu den glücklichen Menschen, die dies auch schafften, und nichts war für ihn erholsamer als eine Mütze voll Schlaf.
Die Augen fielen ihm zu.
Die Welt versank allmählich. Sie tauchte ein in die Tiefe eines Schattenmeeres, und Tommy hatte das Gefühl, weggetragen zu werden.
Das merkte auch die Alraune.
Bis jetzt hatte sie abgewartet, gab auch noch einige Sekunden hinzu, und erst als die Atemzüge des Schlafenden noch ruhiger und gleichmäßiger wurden, huschte sie vor.
Eine kleine, nackte Frau mit ungewöhnlich bleicher Haut trippelte durch die Garderobe. Sie blieb vor der Liege für einen Moment stehen. Selbst um den Rand zu sehen, mußte sie ihren Kopf leicht in den Nacken legen, und sie sah über dem Rand den kompakten Körper des liegenden Mannes, der nichts, aber auch gar nichts, bemerkte.
Alraune freute sich. Sie streckte ihre kleinen Arme in die Höhe und umklammerte den Rand der Liege. Ihr Griff war hart und gut. Ein kurzes Zucken in den Schultern, dann schwang sie sich in die Höhe und blieb auf der freien Fläche zwischen dem Körper und dem Rand der Liege hocken, dem Atem des Mannes lauschend.
Er hatte nichts bemerkt.
Die Alraune lächelte. Ihr Mund zuckte auf. Einen Moment später huschte wieder die Zunge hervor wie ein in Blut getauchter Schlauch. Er wischte dicht über die Hüfte des Mannes hinweg, bevor er wieder im Mund des Wesens verschwand.
Alraune fühlte sich gut. Es hatte alles so wunderbar geklappt. Viel besser, als sie es sich hatte vorstellen können. Alle Mächte schienen auf ihrer Seite zu stehen, um ihr den nötigen Schutz zu geben. So und nicht anders mußte es sein. In der Garderobe war nur der Atem des Schlafenden zu hören. Alraune selbst verhielt sich still. Sie überlegte, wie sie es anstellen sollte, ob sie über die Brust des Farbigen laufen oder an seinem Körper entlanghuschen sollte.
Sie entschied sich für die Brust.
Sie wollte, daß er erwachte, denn sie wollte sich auch an dem Schreck in seinen Augen weiden. Ein kurzer Sprung zur Seite reichte ihr aus, um auf dem Mann zu landen.
Sie stand auf dessen Bauch, den Blick nach vorn gewandt. Zeigte er eine Reaktion?
Der Schläfer war nur kurz zusammengezuckt. Sein tiefer Atem hatte sich nicht verändert, und das Wesen lächelte wieder.
Es klappte alles vorzüglich.
Alraune setzte sich in Bewegung. Sie schritt oder balancierte wie eine Tänzerin über den Körper des dunkelhäutigen Tommy hinweg auf dessen Hals und dessen Mund zu.
Der stand halb offen. Aus ihm zischte die Atemluft wie aus einem schmalen Ventil. Das leichte Röcheln ließ die Lippen zittern, die Augen waren fest geschlossen, und als Alraune den breiten Brustkorb erreicht hatte, blieb sie
Weitere Kostenlose Bücher