Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
der Decke. In der Ferne hörte man den Lärm einer Säge, das Klappern der Töpfe in der Küche, eine Tür, die im Windzug zuschlug. Jacqueline brachte das Zimmer in Ordnung, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
»Hör mal ...« Nane versuchte, von dem Stuhl aufzustehen. »Du bist noch jung. Könntest du wohl den Sessel und den Stuhl in die Sonne stellen? Dann legst du die Kopfkissen und das Federbett darauf. Würdest du das tun? Und wenn wir schon mal dabei sind, legen wir auch gleich die Decken raus. Es ist so schön heute. Sie liegen oben auf dem Schrank.«
Nane bestand darauf, auch die Laken herauszulegen.In der grellen Mittagssonne stapelten die beiden Frauen die Hälfte der Einrichtung vor dem Gartenhaus auf. Nane setzte sich in den Sessel und beobachtete ihre Cousine, die Decken auseinanderfaltete und ordentlich auf dem warmen Rasen ausbreitete.
»Diese ganzen alten Laken, die man aufhebt«, sagte Nane gedankenverloren. »Mit der Zeit schimmeln sie. Motten, Fliegen, Spinnen, dieses ganze Ungeziefer und die Feuchtigkeit, die hineinkriechen, und am Ende ist alles hinüber. Die alten Baracken vermodern, weil man das alte Zeug in den Schubladen aufbewahrt. Ein bisschen Sonne und Wärme, und schon ist alles wieder fast wie neu. Sieh, wie gut es der schönen Wäsche tut ... Hör auf deine alte Cousine, Jacqueline. Man darf den alten Plunder nicht aufheben, bis er in den Schubladen verrottet.«
Jacqueline wandte den Blick ab. Nane stand mühsam auf und hakte sich bei ihrer Cousine unter. »Komm, wir schauen nach, was Arminda uns Gutes gekocht hat.«
Der Tag verging ruhig, und sie sprachen nur über Belanglosigkeiten. Alle taten so, als wäre Jacquelines Anwesenheit im Haus die natürlichste Sache der Welt. Und niemand stellte die Fragen, die in der Luft lagen. Jacqueline wurde Matthis vorgestellt, Armindas Sohn, einem kleinen Jungen mit Brille. Er war ein lebhafter, anhänglicher Knirps, der mit seinen gerade mal sechs Jahren seine Rolle als einziger Mann im Haus perfekt spielte (und wir glauben, dass einmal ein großartiger Insektenforscher aus ihm werden könnte). Auch er stellte keine Fragen. Seine Mutter hatte ihm erklärt, es sei unhöflich. Doch im Gegensatz zu den Erwachsenen konnte er den Blicknur schwer von der alten Dame abwenden, die quasi aus dem Nichts aufgetaucht war und sich über ihre afrikanischen Geheimnisse ausschwieg.
Dann begann der Abend. Jacqueline entschuldigte sich, wünschte allen eine gute Nacht und war froh, dass sie sich endlich in das kleine Gartenhaus zurückziehen konnte. Sie öffnete den Koffer und hängte ihre schicke Kleidung auf das Sammelsurium der Bügel, die im Schrank hingen. Anschließend packte sie die Kulturtasche und die Taschenlampe aus und versteckte ihren Schmuck. Als sie fertig war, zog sie das Nachthemd an, streifte den rosafarbenen Morgenmantel aus Seide über und legte sich mit einem Buch ins Bett. Im Dämmerlicht enthüllte sich schließlich das Wesen des Gartenhauses: Jacqueline betrachtete intensiv die kleinen Gemälde an den Wänden mit Motiven von Sonne, Strand und Meer. Einige dieser schlichten Bilder fand sie sogar ganz hübsch. Jedenfalls war es insgesamt ein recht nettes Arrangement. Jacquelines Blick fiel auf eine kleine Reproduktion eines auf eine Holzplatte aufgezogenen Gemäldes im byzantinischen Stil: Die Jungfrau der Zärtlichkeit . Darunter eine Frisierkommode mit geschnitzten Füßen und einer Marmorplatte, die als Schreibtisch diente; ein alter roter Sessel im Stil Ludwigs XV. mit einer Fleecedecke darüber, um den abgenutzten Stoff zu verhüllen. Das winzige, moderne Bad mit der Dusche, der Toilette und einem kleinen Fenster. Auf der Fensterbank stand eine Vase mit Strohblumen und Weidenkätzchen. Eine preiswerte, kleine Lampe mit einem blauen Schirm, ein alter Jokari-Schläger an der Wand. Und dann noch ein paar alte Taschenbücher in dem offenen Fach des Nachtschrankes. Für Jacqueline, die in luxuriösen Häusern gewohnt hatte, in denen sie niemals allein war, war das herrlich und beängstigend zugleich.
Als die Nacht hereinbrach, wunderte Jacqueline sich nicht, dass sie keinen Schlaf fand. Im Grunde hatte sie nicht darauf gehofft, der Schlaflosigkeit hier entfliehen zu können. Doch das, was sie im Halbdunkel des Gartenhauses sah, hatte sie auch nicht erwartet: Sämtliche Erinnerungen, die allabendlich auftauchten, sprachen hier viel deutlicher mit ihr. Die Umrisse waren weniger unscharf, die Gefühle klarer. Es schien
Weitere Kostenlose Bücher