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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
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»Fotos« unter dem Surfsegel stand. Aber bevor sie oben ankam, entdeckte sie ein paar Schwarz-Weiß-Fotos, die oben auf einem alten Schrank herumlagen. Dort stand auch eine Figur aus Alabaster, eine Schäferin mit ihren matt schimmernden bläulichen Schafen, die früher einmal geglänzt haben musste. Es war eine dieser mit Glimmer bestreuten Nippesfiguren, deren Farbe sich je nach Witterung veränderte.
    Jacqueline nahm die schmutzigen Bilder in die Hand und wischte sie an ihrem rosafarbenen Morgenmantel ab. Die Fotos waren von 1950. Sie stieg die Stufen hinunter, um nachzusehen, was in dem Schrank aufbewahrt wurde. Als sie in diesem Königreich offener Türen eine verschlossene Tür fand, war sie nicht überrascht. Man braucht nur eine verschlossene Kiste zu finden, und schon hat man den Wunsch, sie zu öffnen. Das liegt in der Natur des Menschen. Bei Jacqueline, die sich unbedingt noch mehr Bilder ansehen wollte, wich die Versuchung einem regelrechten Zwang. Berauscht von ihrer eigenen Verrücktheit opferte sie jede Zurückhaltung auf dem Altar ihrer Besessenheit und versuchte, die Tür gewaltsam zu öffnen.
    Trotz der wurmstichigen Türen leistete der Schrank Widerstand. Er sperrte sich gegen diese Frau, die auf derSuche nach ihrer letzten Chance entschlossen war, in die Privatsphäre anderer Leute regelrecht einzubrechen. Sie zog und drückte, und der Schrank begann zu wackeln. Ein lautes Klirren, das die Stille jäh durchbrach, erschütterte sie bis ins Mark. Die Schäferin aus Alabaster war auf den Betonboden gefallen. Jacqueline stand vollkommen reglos da, und ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Ihr Finger lag noch auf dem Schalter, auf den sie gerade gedrückt hatte, um das Licht auszuschalten. Jacqueline lauschte in die Nacht hinaus. Kam da jemand, um sie zu verjagen? Als sie verloren inmitten der Alabasterscherben stand, wurde ihr schlagartig die Ungeheuerlichkeit ihres heimlichen Eindringens ins Atelier bewusst.
    Nur Jacquelines Herz klopfte, aber sonst war hier alles ruhig. Die alte Dame blinzelte in die Dunkelheit, betete, lauschte und flehte. Als sie ein Geräusch hörte, wuchs ihre Angst noch. Der volle Mond über der Insel warf Schatten in den Garten, aber Jacqueline hätte nicht sagen können, woher das Geräusch gekommen war. Danach folgte noch ein Geräusch, das sie deutlicher vernahm. Es hörte sich wie ein Brummen an und kam aus dem alten Citroën-Kastenwagen.
    Jacqueline schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Dann lief sie schnell durch die Dunkelheit zum Gartenhaus, doch als sie erneut ein Geräusch hörte, blieb sie wie angewurzelt stehen. In dem Kastenwagen klirrten Flaschen.
    Würde sie Nane nun beim Trinken erwischen? Diesmal war sie sich ganz sicher. Einen kurzen Augenblick empfand sie ein Gefühl der Genugtuung. Wenn sie Nane in flagranti bei Heimlichkeiten ertappte, würden ihreeigenen dadurch harmloser erscheinen. Anstatt in das Gartenhaus zurückzukehren, näherte Jacqueline sich auf leisen Sohlen dem alten Kastenwagen. Sie blieb mit dem Morgenmantel in dem hohen Unkraut hängen, und der rosarote Satinstoff schimmerte matt in dem Licht des vollen gelben Mondes. Noch schützte sie die Mauer des Ateliers vor fremden Blicken.
    Plötzlich wurde die Tür des Citroëns geöffnet, und Jaqueline sah zwei nackte Menschen. Sie drehte sich um und lief ein Stück zurück, doch die Szene, deren Zeugin sie soeben geworden war, hatte sich ihr ins Gedächtnis gebrannt: das Gesäß eines Mannes, das sich zwischen langen, gespreizten Beinen hin und her bewegte; eine kräftige Männerhand, die in dickes schwarzes Haar griff, und die abgekauten Fingernägel einer kleinen, schmalen Hand, die sich an seinem Gesäß festklammerte. Zwei aufeinandergepresste Münder und dann der des Mannes auf einer Brust, Leidenschaft und Sinnenlust zweier Menschen, die sich liebten. Eine Flasche Wein und zwei Gläser kippten um, doch das Stöhnen verstummte nicht. Es waren Arminda und Bruno, der Fischhändler.
    Wie viele Sekunden, Minuten oder Stunden stand Jacqueline zum zweiten Mal in dieser Nacht wie versteinert da? Und was trieb sie dazu, den Hals zu recken, um noch einen Blick in den Kastenwagen zu werfen? Armindas entfesselte Wollust machte sie fassungslos. Entgeistert starrte sie auf das nackte Gesäß auf einer schwarzen Jacke, die als Decke diente, auf diese skandalöse und zugleich ergreifende Schwarz-Weiß-Szene. Dieser Lebensdrang, der wie ein Feuer brannte, entflammte Jacquelines Seele.
    Schließlich floh sie ins

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