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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
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dröhnende Stimme die Stille.
    »What’s Kuhfladen?«
    »Eine regionale Spezialität«, erwiderte Arminda.
    Jetzt brach Nane in lautes, fröhliches Lachen aus, das ansteckend wirkte. Aller Augen waren auf Jacqueline gerichtet, deren Miene allmählich einen anderen Ausdruck annahm. Im ersten Augenblick wusste niemand, was passieren würde. Jacqueline schloss die Augen. Dann hob sie die Schultern, und mitten in der Küche erklang von weither ein leises, schüchternes Lachen. Arminda und Eugene lächelten, wagten es aber nicht, einen Ton von sich zu geben. Doch Nane und Jacqueline schauten sich nun an und begannen jede auf ihre Art wie zwei Teenager zu lachen. Schließlich legte Nane einen Arm um die Schultern ihrer alten Cousine und führte sie aus der Küche heraus.
    Am Ende dieses misslungenen Essens an dem Tisch, auf dem alles wie Kraut und Rüben durcheinanderlag, hatte niemand scrumptious gesagt und niemand über Paul Auster gesprochen. Das war aber nicht weiter schlimm, denn Jacqueline hatte sich mit den Amerikanern angefreundet. Die Mousse au Chocolat nach »Kuhfladen-Art« wurde in die Sammlung der besten Rezepte der Villa Jolie Fleur aufgenommen. Jacqueline war nach New York eingeladen worden, und trotz ihrer Blässe und ihres Schweigens lächelte sie wieder.
    Nane steckte eine Hand in die Tasche ihrer Strickjacke und strich über die Scherben der kleinen Schäferin, der Hüterin der Geheimnisse des Ateliers. Sie beobachtete Jacqueline. Ihre Ankunft auf der Insel, ihr Schweigen, ihre ständige Abwesenheit, das Theater um das Essen und die Tränen in der Küche – jetzt verstand sie, was ihre Cousine hier suchte. Jacqueline war davon überzeugt, zufällig auf der Insel gestrandet zu sein. Doch niemand strandet rein zufällig auf einer Insel. Vor allem nicht auf einer Insel, die alte Geheimnisse barg.

30
    Sonnenuntergang. Ein Anblick, den Marcel seit Beginn seines Abenteuers auf der Loire vor ein paar Wochen jedes Mal in vollen Zügen genoss. Seitdem er mit dem Kanu unterwegs war, hatte er neue Gewohnheiten angenommen. Er stand früh auf, aß mittags eine Kleinigkeit und machte nachmittags eine Ruhepause. Und am Ende des Tages ging es weiter, bis der Himmel sich purpurrot färbte. Marcel hatte keine Angst mehr, von der Nacht überrascht zu werden. Mittlerweile konnte er die Färbung des Himmels richtig deuten und in Rekordzeit ein Zelt aufschlagen. Und als Marcel an diesem Abend Richtung Tours paddelte und den in glutrote Farben getauchten Himmel bewunderte, gab er sich seinen Träumen hin. Er war so in den Anblick versunken, dass er nicht auf die dunklen Wasserstrudel achtete, die ihn unter der Wilson-Brücke erwarteten.
    Marcel kannte die unberechenbaren Strömungen, die unter Brücken lauerten. Das Paddeln war ihm inzwischen so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er das Kanu fast als Verlängerung seines Körpers betrachtete. Man konnteden alten Mann nicht mehr als Anfänger bezeichnen. Doch er hatte die Rechnung ohne Kaikias gemacht. Als Marcel in den kleinen, wirbelnden Strudel hineinfuhr, nahm ihm ein starker Windstoß den Atem. Das Wasser schlug über seinem Kopf zusammen, und er wurde mit voller Wucht in die Loire geschleudert. Der Fluss hatte plötzlich keinen Anfang und kein Ende mehr, und Marcel war mittendrin. Als er den Mund öffnete, drang kein Laut heraus, sondern nur Wasser ein. Das Kanu, das in der tückischen Strömung hin und her geworfen wurde, schlug ihm gegen den Kopf, worauf er vollkommen die Orientierung verlor.
    Marcel streckte eine Hand in die Luft und versuchte, ihr zu folgen. Schließlich ragten zuerst die Augen und dann der Mund wieder aus dem Wasser, und in seinen Ohren rauschte das Echo der teuflischen Brücke. Auf der Suche nach dem Kanu oder irgendetwas anderem, was ihm helfen könnte, sich ans Ufer zu ziehen, drehte er sich um. Doch Marcel sah nur die orangerote Sonne, die ihn blendete. Und den Bruchteil einer Sekunde hatte er den Eindruck, der Fluss würde ebenfalls in Flammen stehen. Das Licht, das die Wasserstrudel und die Schmerzen durchdrang, die er am ganzen Körper spürte, glühte wie ein Höllenfeuer. Und während Marcel dagegen ankämpfte unterzugehen, wurden seine Beine von einer ungeheuren Kraft in die Tiefe gezogen. Seine Lunge füllte sich mit dem Wasser der Loire, und er sank noch tiefer. In diesem Augenblick glaubte Marcel, über sich im Wasser, das durch das rote Licht wirbelte, die verzerrten Gesichter seiner Freunde zu erkennen, die sich überzeugen

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