Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
jene Information über New York unterzubringen. Nane, die sich an Jacquelines Schweigsamkeit gewöhnt hatte, freute sich, dass ihre Cousine sich endlich einmal an einer Unterhaltung beteiligte. Das viele Sprechen schien Jacqueline jedoch so anzustrengen, dass sie vollkommen außer Atem geriet. Sie wagte es sogar, ein paar witzige Bemerkungen einzustreuen. Nane entging nicht, dass Jacquelines Sprache viel bunter war als gewöhnlich. Sie fragte sich auch, für wen diese Geistesblitze bestimmt waren. Weder Eugene noch Cindy verfügten über ausreichend Französischkenntnisse, um sie zu verstehen, zumal Jacqueline auch sehr schnell sprach.
Ich kam in dem Augenblick an, als das Huhn serviert wurde. Jacqueline stimmte eine Lobeshymne auf die amerikanische Kultur an und steigerte sich immer mehr in ihre Begeisterung hinein. Ihr überschwänglicher Monolog ließ so wenig Platz für die anderen, die vielleicht auch gern einmal etwas gesagt hätten, dass die Gäste Nane bereits irritierte Seitenblicke zuwarfen. Diese spürte, dass etwas nicht stimmte. Jacqueline fuhr fort.
»... schon mein ganzes Leben wollte ich nach New York, aber mein Mann, ach, Sie wissen ja, wie das mit den Ehemännern ist, immer in Pantoffeln, dabei war mein großer Traum, den Central Park zu sehen und das Metropolitain Museum. Ich habe gehört, dass der neue amerikanische Flügel nach einer zweijährigen Renovierungspause wiedereröffnet wurde. Ich liebe amerikanische Möbel ...«
Jacqueline setzte ihren Monolog fort und lachte zwischen den Sätzen eine Spur zu laut. Arminda begann, ihr albernes Benehmen zu belächeln, und Jacqueline bemerkte es. Sie ließ sich aber nicht beirren.
»... Ich wäre auch alleine geflogen. Es ist ja kein Problem, sich ein Flugticket zu kaufen, aber in meiner Generation schickte es sich nicht für eine Frau, ihren Ehemann allein zu lassen. Es war nicht so wie heute. Heutzutage sind die jungen Leute unabhängig, nicht wahr, Arminda? Sagen Sie, Ihr Freund, der Fischhändler, lässt er Ihnen eigentlich die Freiheit, zu tun, was Sie möchten?«
Arminda erstarrte, aber ehe sie etwas erwidern konnte, war Jacqueline bei den Mietpreisen in Manhattan angelangt. Darauf sprach sie über das exzentrische Wesen von Norman Mailer und den Einfluss des Verlegers auf den Stil von Raymond Carver.
Nach dem Käse schien Nane in Gedanken versunken zu sein. Arminda grübelte, und ihre Augen waren noch dunkler als gewöhnlich. Die Gäste begnügten sich damit, nur noch höflich zu lächeln. Jacqueline war total erschöpft. Ihr fiel ein, dass sie seit fünf Uhr in der Früh nichts mehr gegessen hatte. Sie fragte sich, ob das Huhn auch zart genug gewesen war. Dann sah sie den Weinfleck auf der Tischdecke, die vertrockneten Brotreste, eine Serviette, die zerknüllt auf dem Boden lag. Und plötzlich verkrampfte sich ihr Magen.
»Wenn alle fertig sind, hole ich nun das Dessert«, verkündete sie betont fröhlich. »Ich hoffe, Sie mögen Schokolade ...«
»I love chocolate« , rief Cindy, die sich freute, endlich auch einmal zu Wort zu kommen.
»Ah, das berühmte Dessert«, sagte Nane. »Es wurde schon so viel darüber gesprochen ... Arminda, hast du meinen Fotoapparat gesehen? Ich möchte den Augenblick nicht verpassen, wenn Jacqueline aus der Küche kommt. Solche Gelegenheiten gibt es nicht so oft.«
Arminda sagte, dass Jacqueline sich den Fotoapparat ausgeborgt habe und er vermutlich noch im Gartenhaus sei.
Inzwischen holte Jacqueline in der Küche vorsichtig die sechs Porzellanteller aus dem Kühlschrank, auf denen die mit Pergamentpapier umwickelte Mousse stand. Ich sah, wie sie die Blumen, die jetzt lächerlich und deplatziert wirkten, um die Tellerränder legte. Anschließend entfernte sie behutsam das Pergamentpapier. Je weiter sie es abzog, desto größer wurden Jacquelines Augen, und dann erstarrten ihre Gesichtszüge. Die Stimmen auf der Terrasse wurden durch laute Trommelschläge übertönt, die in ihren Ohren dröhnten. Jacqueline presste eine Hand auf den Mund, als wollte sie einen Schrei unterdrücken, und sank auf einen Hocker. Wie Teer bei einer Ölpest breitete sich auf den Porzellantellern eine unförmige Schokoladenmasse aus, die über die mit Blümchen verzierten Tellerränder schwappte und die zarten Blütenblätter verschlang. Die Mousse au Chocolat war misslungen.
Misslungen.
Wie ihre Träume von der Literatur. Wie ihre Kindheitsträume. Wie all die festlichen Abendessen, bei denen sie nicht geglänzt hatte. Wie die
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