Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
Armen voll duftender Wäsche zurück zum Haus.
Nane und Jacqueline setzten sich ins Wohnzimmer, das mit ausgefallenen Möbeln ausgestattet war. Nane sank in ihren alten Sessel neben der Kommode, auf der ein paar Aquarelle standen, die im Laufe der Jahre nachgedunkelt waren. Das Bügelbrett war weggeräumt worden, sodass der Raum viel größer wirkte. Auf der kleinen Hi-Fi-Anlage lag die CD-Hülle der von Frederico Valério komponierten Fadomusik, die Arminda immer beim Bügeln hörte. Jacqueline hatte ihr nie viel Beachtung geschenkt, doch jetzt schien es ihr so, als kehrte die Fadomusik inmitten der abendlichen Stille zurück. »Que Deus Me Perdoe ...« Nanes Stimme verschmolz mit dem fernen Gesang.
»Da sitzen wir nun. Und was machen wir beide heute Abend?«
Jacqueline schaute ihre Cousine lächelnd an.
»Ich könnte dir das Haar schneiden. Weißt du, wie früher ... Seitdem habe ich viel dazugelernt. Ich habe Marcel immer das Haar geschnitten.«
»Hm, gut. Da sage ich nicht Nein. In der Schublade im Badezimmer liegen Scheren.«
47
Jacqueline holte die Scheren. Nane setzte sich in der Küche auf einen Stuhl aus Resopal und ließ sich ein altes, ausgefranstes Handtuch über die Schultern legen. Jacqueline stellte sich hinter Nane. Zwischen ihren schmalen Fingern mit den sauberen, gerillten Nägeln glitt Nanes nasses Haar hindurch. Die Fingergelenke hatten sich durch das Alter und die unzähligen schlaflosen Nächte verformt, aber sie waren dennoch beweglich geblieben. Jacquelines alte Hände, die geschickt um Nanes müden Schädel herumschwirrten, beherrschten die Kunst des Haareschneidens. In der Luft hing der Duft der Regentage. Der braune Kamm, dem ein paar Zacken fehlten, glitt durch das silbergraue Haar und zog die Wassertropfen heraus, die auf die verblassten Blumen des Handtuchs fielen. Das Ratschen der Schere hallte durch das Haus und wurde vom Ticken der Küchenuhr begleitet wie eine Jazzmelodie von einer Trommel, bei der die Kratzer der Jazzbesen mitklangen. Auch Zephyr, derdraußen vor den Fenstern durch das Laub strich, begleitete das Konzert. Und noch immer wie aus dem Nichts dieser imaginäre Fadogesang, der den ganzen Abend im Hintergrund erklang und ihm eine dramatische Note verlieh.
»Aber nicht zu kurz«, bat Nane ihre Cousine und faltete die Hände auf den Knien.
Nein, nicht zu kurz. Genau die Länge von Jacquelines Fingern. Die Schere schnitt eine Strähne nach der anderen ab, die lautlos auf den Boden fielen und reglos dort liegen blieben.
»Hast du dich schon entschieden, ob du das Haus nimmst, meine Liebe?«, fragte Nane.
Jacqueline wollte die Frage gerade beantworten, besann sich dann aber eines anderen. Sie schaute auf die nasse Haarsträhne zwischen ihren Fingern. »Que Deus Me Perdoe, Se a minha alma fechada, Se pudesse monstrar, E o que eu sofro calada ...« Der Abend, die Maikäfer, die Fenster, auf die das rote Licht der Deckenbeleuchtung fiel, die kalte Zärtlichkeit der Wäsche und alle Zimmer des Hauses – all das war in ihrem Herzen vereint. Und als sie das Gefühl hatte, ihr Geheimnis nicht länger für sich behalten zu können, setzte sie behutsam zum Sprechen an.
»Erinnerst du dich an das letzte Mal, als wir uns in Montrie gesehen haben ...?«
»Ich hatte es vergessen«, erwiderte Nane. »Doch als wir alle am Küchentisch saßen und die Panzer der Meeresspinnen aufbrachen, fiel mir alles wieder ein. Als wäre es gestern gewesen. Es war 53, nicht wahr?«
»Im September 53. Ich war siebzehn und du dreiundzwanzig. Es war der 22. September.«
»Ja, ich erinnere mich nicht mehr an den Tag, aber es war im Herbst.«
»Doch, es war der 22. Ich erinnere mich genau.«
Jacqueline kämmte Nanes Haar und schnitt langsam die nächste Strähne ab.
»Ich erinnere mich genau, weil ich am 23. erfahren habe, dass ich schwanger war«, sagte sie dann so leise, als wären die Worte nicht für andere bestimmt.
Nane saß wie erstarrt auf dem Resopalstuhl. Durch das geöffnete Fenster sah man die dunklen Schatten der Bäume im Garten. »Se pudesse contrar, Toda a gente veria, Quanto sou desgraçada ...«
»Ich wollte es dir niemals sagen, aber vielleicht wusstest du ja auch, dass Paul Charon und ich uns ein paar Monate zuvor ineinander verliebt hatten.«
Nur das Klacken der Schere war zu hören.
»Meine Mutter bekam es zur gleichen Zeit heraus, als sie erfuhr, dass ich schwanger war. Paul war Priester und hatte Lucette und François getraut. Er schwor, sich von seinem Priesteramt
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