Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
offensichtlich wußten die noch gar nichts vom Aufstand. Wir winkten zurück. Die Transparente konnten die zum Glück nicht lesen: Der Spitzbart muß weg und Nieder mit der Regierung … Die dachten wohl, wir demonstrierten für den Sozialismus.“
„Auch dort wieder“, unterbrach Hoffmann leicht unwillig Hans-Peters Schilderung, „warum mußten Sie sich auch dort wieder vordrängeln? In der ersten Reihe! Darauf sind Sie sicher noch stolz, aber das war grober Unfug. Sie müssen doch immer daran denken, was Sie zu tun haben. Ihre Devise heißt daher möglichst nicht auffallen. In der ersten Reihe!“ Hoffmann schüttelte wiederholt den Kopf, „so ein Blödsinn! In Zivil zwischen lauter Uniformen. Durchaus möglich, daß man Sie sucht. Vielleicht hat man Sie auch fotografiert.“
„Möglich“, gestand Hans-Peter kleinlaut. „Uns ist auch bald klar geworden, daß die erste Reihe dort ein Fehler war.“ Und fotografiert? Daran hatten Sie beide, wurde ihm plötzlich klar, noch nicht gedacht. Aber wenn es nicht darum ging bloß mitgelaufen zu sein, sondern darum, daß man sie inzwischen womöglich für Anführer dieses staatsfeindlichen Umzugs hielt? Dann würde man sie vielleicht wirklich suchen. Das mußte er schnellstens Sebastian mitteilen. Und zu Hoffmann sagte er: „Ich glaube nicht, daß die uns fotografiert haben, das hätte ja die Polizei machen müssen und die war total überrascht.“
„Was heißt Polizei“, winkte Hoffmann ab. „Es könnte ja ein Spitzel aus irgendeinem Fenster gewesen sein. Sie werden’s jedenfalls in den nächsten Wochen noch merken, wenn da was war. Dann müßten Sie sich natürlich dumm stellen, einen Spreewaldausflug vorschieben oder so ähnlich. Und weil auch kein Zug mehr ging sind Sie da vom Bahnhof aus mitgelaufen. Sie waren bloß neugierig und haben sich dabei nichts gedacht. Aber um es hier gleich klar zu machen, wir werden uns dann von Ihnen trennen, auch wenn für Sie alles glimpflich ausgehen sollte, denn wenn man Sie mal am Kanthaken hatte, sind Sie auf alle Fälle registriert. Schon ein vager Verdacht, von dem so mancher Bürger bei Ihnen oft genug noch gar nichts weiß, reicht bereits, um ein für alle Mal ins schwarze Buch zu kommen. Das ist Gift für jede konspirative Arbeit, das muß auch Ihnen einleuchten.“
Hans-Peter nickte, ärgerte sich aber zugleich auch über die Vorwürfe von seiten Hoffmanns, hatte er doch eher Lob und Zustimmung erwartet, aber der zeigte wenig Verständnis für ihre Köpenickiaden. Und so sagte er: „Wir dachten, es sei wichtig gerade jetzt hier rüber zu kommen …“
„Wir warten vorerst ab, ich sagte es schon“, unterbrach Hoffmann. „Die bei uns da oben sind doch ebenso überrascht worden wie die in Pankow und Moskau. Mit diesem Aufstand hatte ja niemand gerechnet.“
„Wenn das so ist“, warf Hans-Peter ein, „warum sollte man uns dann suchen? Dann war das doch spontan und nicht vom Westen gesteuert.“
„Haß, und der wird ja im Kommunismus als Tugend gepredigt, macht blind. Das war schon bei Hitler so. Da glaubten manche bis zuletzt noch an Endsieg und Wunderwaffe. Das ist ganz einfach Realitätsverweigerung. Andererseits fürchtet man jetzt drüben auch mit dem Eingeständnis von Fehlern das Kind gleich ganz mit dem Bade auszuschütten. Man sucht zur Entlastung Aufwiegler aus dem Westen oder mit Kontakt zum Westen, obschon man weiß, daß das Unsinn ist, aber man findet natürlich immer welche. Daher ist es mir unverständlich, wie Sie sich hier förmlich anbieten konnten. Ebenso Ihre gewagten Eskapaden mit der selbst geschriebenen Bescheinigung und dem Passierschein. In der gegenwärtigen labilen Situation im Osten liefern Sie sich mit derartigen Verwegenheiten leicht selbst ans Messer und schaden dann natürlich uns hier im Westen und Ihren eigenen Idealen.“
Da war was dran. Hans-Peter nickte daher wieder etwas niedergedrückt. „Ja, natürlich …“
„Wissen Sie“, erklärte Hoffmann lächelnd, „mit ähnlicher Wagnisbereitschaft konnten Sie sich als junger Mensch im Krieg womöglich ein Ritterkreuz, auf alle Fälle das Eiserne Kreuz verdienen, aber dieser Krieg hier ist völlig anders. Die Tugenden jetzt sind Tarnung, nicht Draufgängertum, Verschwiegenheit und Überlegung, nichts Unbedachtes, nichts Spektakuläres, nichts, was Sie sich anheften können, kein Sieg vor aller Welt. Alles muß verborgen bleiben. Zum stillen Helden aber eignet sich nun mal nicht jeder.“
Und dazu, das meinte Hans-Peter
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