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Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman

Titel: Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund August
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im Flüchtlingslager gesehen hatte, waren auch nicht älter gewesen. Im Westen ist man erst mit einundzwanzig mündig. Das wären noch lange Jahre... In Gedanken ging er die von Hoffmann erhaltene Telefonnummer durch. Gespannt war er auch, was sein Freund Hans-Peter dazu sagen würde. In der eigenen Familie wollte er nicht darüber reden, denn Mitwisserschaft, auch in der Familie, war ja fast so schlimm wie Täterschaft. In den Zeitungen standen auch dauernd Meldungen über enttarnte Agenten des Klassenfeinds, Spione, Diversanten, Mitwisser und Täter des kriegslüsternen Imperialismus – alle zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt.
    Eine politische Opposition gab es halt nicht, keine Meinungsfreiheit, dafür tausend Tricks der Verstellung, tausend Variationen der Heuchelei – also mußte man zum Täter werden und dadurch auch zum Verfolgten. Im neuen Jahr würde er nach Westberlin fahren und dort anrufen. Hier jetzt im Zug, kurz vor dem Halt in Calau, hatte er sich entschieden, unabhängig davon, ob sein Freund mitmachen würde oder nicht. Hans-Peter mußte er die Mitwisserschaft aufhalsen. Er sollte sich gleichfalls entscheiden, so oder so.
    Dieser Tag im November des Jahres 1952, ein Sonntag, ein naßkalter Tag wie viele in dieser dunklen Jahreszeit, war doch ein besonderer für ihn. Eigentlich sollte er sich den bereits entschwindenden Streckenabschnitt merken, an dem er sich endgültig entschieden hatte. Er hatte einfach ein Gefühl, das tun zu sollen und so erhob er sich von seinem Platz und blickte, den Kopf gegen die Abteilfensterscheibe gelehnt, in die zurückfliegende Landschaft hinaus. Ein niedriges Brückengeländer huschte eben vorüber, das wollte er sich merken auf der Strecke vor Calau.
    Als er schließlich in Großräschen ankam und vom Bahnhof über den Marktplatz ging, erschien ihm sein Heimatort doch recht trist. Kleine Fenster in niedrigen Häusern, die bereits erleuchtet waren. Ein paar Läden im Hintergrund und dann der „Kurmärker“, ein alter Gasthof, einst eine Poststation an der Reichsstraße 1, früher Adolf-Hitler-Straße, davor Calauer Straße, jetzt Ernst-Thälmann-Straße, die er entlang ging. Die Straße, eine Allee alter Ahornbäume, deren hohes Geäst sich bereits in der Dunkelheit verlor. Nun, zu Hause angekommen, spürte er die Müdigkeit wieder. Seiner Mutter berichtete er lediglich, daß er Irene Sasse im Flüchtlingslager in Berlin getroffen hatte, eine wunderschöne große Villa, die er eingehend schilderte. Dort habe er auch übernachten können, log er. Eine Notlüge, eine notwendige Lüge.
    An diesem Abend ging er, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, sehr zeitig schlafen. Im Bett ließ er den vergangenen Abend noch einmal Revue passieren, erinnerte sich der Gespräche und der Hinweise auf Gefahren, die ihm drohten, wenn er sich in dieser Weise in die Weltpolitik einmischen würde. Doch langjährige Zuchthausstrafen stünden ihm ja bereits ins Haus, wenn er nur selbstgemachte Flugblätter verteilte, und das hatte er längst getan. Zuchthaus ebenso, wenn er den Staat öffentlich kritisierte, etwa in der Kneipe oder bei der Arbeit und damit den Tatbestand der Boykotthetze oder Staatsverleumdung erfüllte. Die Wirksamkeit seines künftigen Widerstands wäre natürlich unvergleichlich viel größer, sagte er sich.
    Durch den Türspalt über dem Boden fiel ein gelblicher Lichtstreifen ins dunkle Zimmer. Gedämpft hörte er Stimmen aus der Diele … Im Westen, im Westen bleiben, überlegte er, raus aus dem Osten solange es noch ging. Er müßte allein gehen, mit seinem Freund Hans- Peter vielleicht...Aus seiner Familie traute sich das niemand zu. Da waren die Freunde, die Familie, die Gewohnheit, so mies auch sonst alles war, blieb doch vieles vertraut, war irgendwie Heimat. Aber Hausbücher, hieß es, sollten bald angelegt werden. Alle Besucher würden sich dort eintragen müssen, kontrolliert vom Hausobmann – ob Verwandte oder Bekannte, vor allem aber wohl die aus dem Westen wie sein Onkel Georg, den es nach Goslar am Harz verschlagen hatte. Aus Breslau nach Goslar, über Warschau, Kiew, Stalingrad. Ein weiter Weg von der Oder zur Wolga und zurück bis an die Gose.
    Sebastian erinnerte sich an den Besuch dieses Onkels aus dem Westen vor gut zwei Jahren, der sich über die Preise in den neuen HO-Läden nicht hatte einkriegen wollen. Er habe im Westen geglaubt, das seien Hirngespinste, diese Preise, von denen er gehört hätte. Ein Dreipfundbrot dreißig Mark, ein kleines

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