Als der Kalte Krieg am kaeltesten war - Ein dokumentarischer Roman
Schweinsohr aus Blätterteig fünf Mark. Eine Schachtel Sacharin ebenfalls fünf Mark. Dabei waren das Köstlichkeiten, die es bis dahin überhaupt nicht gegeben hatte. Ein Pfund Butter fünfundzwanzig Mark … aber wo hatte es, außer ausnahmsweise auf Kartenzuteilung, sonst Butter gegeben? Auf dem Schwarzen Markt, allerdings nicht in Großräschen. Nach dem Preis der Freiheit hatte er nicht gefragt, dieser Onkel, die hatte er dort im Westen gratis. Dafür sprach er von der Arbeitslosigkeit und davon, daß es zwar alles gäbe, man sich aber nur das wenigste leisten könne. „Lebensmittelkarten?“ hatte er gesagt, nein, die gäbe es im Westen längst nicht mehr.
Als ob es nur allein um Brot und Sacharin ginge, sagte Sebastian sich, indem er im Bett seine Einschlafstellung einnahm. Zugeteilte Einkellerungskartoffeln reichten ja auch nur bis in den Frühsommer. Dann galt es stets die Monate bis in den Herbst aus dem Garten zu leben, vorausgesetzt man hatte einen...Brot und Spiele … Jugendfestspiele, Sport und Technik, FDJ, Aufmärsche mit Tschingderassabumm, Uniformen, Gelöbnisse... und auch der Schießsport war fast schon wieder Pflicht. Luftgewehre auf Rummelplätzen, gegen alle davor verbreiteten Parolen, natürlich unter Kontrolle der Partei, versteht sich von selbst – dann sind alle Waffen Friedenswaffen für den gerechten Krieg.
2.
Hans-Peter Sasse fuhr auf seinem Fahrrad, die Schulmappe auf den Gepäckträger geklemmt, über die Asphaltstraße den steilen Berg aus Altdöbern hinauf. Das war sein Schulweg, neun Kilometer bis Großräschen. Dort gab es nämlich keine erweiterte Oberschule. Also mußte er diese Straße täglich fahren wie jetzt bei diesem feuchten Novemberwetter, aber auch bei Eis und Schnee oder in brütender Sommerhitze, die dann über der sich schnurgerade dahinziehenden Asphaltchaussee flimmerte. Jetzt im Spätherbst war es früh um sieben noch dunkel. Nun auf dem Heimweg am frühen Nachmittag hatte er auch gerade noch zwei Stunden Tageslicht. Oben auf dem Scheitelpunkt, bevor die Chaussee in den Kiefernwald eintauchte, blies ihm der feuchtkalte Wind direkt ins Gesicht, gegen den er mit der Steigung zusätzlich anzukämpfen hatte. Im Wald angekommen herrschte fast Windstille und die Straße fiel von da an permanent ab. Großräschen lag ja in einem Urstromtal. Überall in den Wäldern traf man noch auf Hügel feinsten weißen oder gelblichen Sandes, der im Sonnenlicht durch die Kiefernstämme flimmerte.
Und noch etwas anderes gab es in diesen Wäldern, in denen gegen Ende des Krieges heftige Kämpfe getobt hatten, bevor die Russen Berlin erreichten, und das war gerade mal gut sieben Jahre her. Überall fand man Holzkreuze mit ausschließlich deutschen Stahlhelmen darauf. Die Russen lagen auf sowjetischen Friedhöfen. Überall konnte man aber auch noch Waffen verschiedenster Art in den Wäldern finden, deutsche Karabiner K 98, russische und deutsche Schnellfeuergewehre, Maschinenpistolen, Kalaschnikows mit typischen Rundmagazinen, aber auch deutsche mit Stabmagazin und Munition in Mengen für alle Waffenarten, alles, was das Herz vierzehnjähriger Jungen damals hatte höher schlagen lassen.
Als die Polizei ihnen einmal auf der Spur war, zogen sie sich mit Waffen und Munition ins ausgedehnte Tagebaugelände Großräschens zurück, um dann dort ihre Schießübungen zu veranstalten und die Waffen sicher zu verstecken. Dort lagen sie noch immer wohlverwahrt. Hans-Peter grinste breit in Erinnerung daran, wie sie die Polizei damals ausgetrickst hatten.
Das Haus, in dem er wohnte, war ein gediegenes einstöckiges Anwesen in einem parkähnlichen Garten, einst ein Haus für leitende Ilse-Angestellte. Parterre wohnte noch der pensionierte Hauptbuchhalter der ehemaligen Ilse-Bergbau AG, Zimmer, mit Frau und Scotchterrier Arco, der jeden am Zaun verbellte, der draußen auf dem Bürgersteig vorbeiging. Am Gartentor stieg Hans-Peter vom Rad, Arco erkannte ihn, schwieg und blieb auf der Terrasse sitzen.
„Was gibt’s zu essen?“ Hans-Peter warf die Schulmappe mit Schwung aufs Bett in seinem Zimmer. Dort stand er einen Moment mit Blick durch ein großes Sprossenfenster hinaus in den Garten.
„Nudeln“, kam die Stimme seiner Mutter aus der Küche.
„Mit Tomatensoße?“
„Woher soll ich Tomaten nehmen?“
Hans-Peter, der seine Jacke in die Garderobe gehängt hatte, setzte sich an den Tisch in der Wohnküche.
„Und erst Hände waschen“, forderte die Mutter energisch, eine kleine Frau
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